KURSIVSCHRIFTEN DES GOTISCHEN TYPUS
die nach seinem Tod im Jahre 1491 in den Besitz seines Nachfolgers Wynkyn de Worde
übergingen. Caxton, von Beruf Kaufmann, kann wohl kaum als der Schneider oder
Schriftgießer seiner eigenen Schriften angesehen werden. Seine Schriften kann man
übrigens nicht besonders schön nennen, ebensowenig andere Bastarden von burgun-
dischem Schnitt, aus denen der Drucker von St. Albans setzte. Pynson hat deswegen
besser getan, direkt die ursprüngliche französische lettre bâtarde eingeführt zu haben.
Doch auch diese Bastarda hielt sich nicht länger als bis 1535, dem Jahr, da Robert
Redman daraus noch Manuskripte juristischen Inhalts setzte, die in normannischem
Französisch, der damaligen Amtssprache in England, geschrieben waren.
Der vollständigen Übersicht wegen seien noch zwei späte kursive Schriften des go¬
tischen Typus erwähnt, denen wir in der Geschichte des englischen Schriftschaffens
begegnen. Die Kursiv court hand wurde trotz ihrer schwierigen Lesbarkeit in den
englischen Gerichtsschreibstuben bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts weiterverwendet
um erst im Jahre 1753 durch einen Sondererlaß für die Amtspraxis verboten zu
werden. An ihrer Stelle wurde eine neue Kanzleiskript - merkwürdigerweise gleich¬
falls von gotischem Typus -, engrossing genannt, eingeführt. Die breite und stark ge¬
rundete Zeichnung dieser altneuen Kanzleikursiv blieb allerdings von der französi¬
schen ronde und zeitgenössischen lateinischen Skripten nicht unbeeinflußt, aber ihr
gotischer Charakter ist weiterhin unzweifelhaft, sowohl mit Hinblick auf die schreib¬
gerechte Technik ihres Duktus mit der breit zugeschnittenen Feder, als auch auf
Grund der zeichnerischen Elemente, die sie mit ähnlichen Kanzleischriften des euro¬
päischen Festlands gemeinsam hat. Nach dem Beispiel in der schon erwähnten Samm-
ung George Bickhams ist diese Schrift jedoch bereits unverhältnismäßig besser lesbar
obwohl gewisse Formen in ihrem Alphabet (Abb. 275), beispielsweise das der normalen
¿-Minuskel ähnliche с oder die Zeichnung des e, immer noch die absterbende Tradition
der gotischen englischen Kursivschriften in Erinnerung rufen.
Die englischen Kalligraphen des 17. und 18. Jahrhunderts,' ob es sich nun um den
1er bereits erwähnten John Ayres, um Richard Clark, George Bickham oder Shelley
mit semer zweibändigen Sammlung Natural Writing aus dem Jahre 1709 und 1714
™ Clark. (Writmg Improv’d or Penmanship, London 1714), Brooks (A De¬
lightful Recreation, London 1717), Joseph Champion (The Penman’s Employement,
on on 179 ) u. a. handelte, haben alle in ihrem Schreiberrepertoire noch eine wei¬
tere^ von fremden Vorbildern bereits gänzlich abhängige Skript des gotischen Typus,
le sie gewöhnlich square letter oder square text nennen. Anders als die vom französischen
Vorbild abhängige engrossing-Kursiv, ist die square letter eine sehr nahe Analogie der
deutschen Kanzleischrift oder in manchen Fällen auch der deutschen Fraktur Sie
hat zwar meist ein breiteres Schriftbild, aber mit dem Prinzip ihres Duktus,' der
Brechung der Rundzüge und der typischen Dekorativität verleugnet sie nie ihre kon¬
tinentale Herkunft.
Sehr interessant ist die Entwicklung der gotischen Kursiv in Böhmen. Der Impuls
zu dieser Entwicklung kommt ohne Zweifel aus der Schreibstube der königlichen
ohmischen Kanzlei, wo schon sehr früh die ersten unzweifelhaften Merkmale einer
Stilwandlung in den königlichen Urkunden in Erscheinung treten. Man schrieb dort
zwar noch fast das ganze 13. Jahrhundert hindurch eine schöne, mehr oder minder
gotisierte diplomatische Minuskel, von der prächtige Beispiele nicht nur aus dem 13. -
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274. Englische handschriftliche Bastarda, /5. Jahrhundert.
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