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272. Secretary hand, 17.-18. Jahrhundert.
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SECRETARY HAND
Kalligraphen wie Martin Billingsley in seinem Sammelband The Pen’s Excellence
aus dem Jahre 1618 belehren, nähert sich die Zeichnung der secretary hand immer
mehr den kontinentalen Kursiven, vor allem der französischen Kanzleiskript lettre
financière. Das Alphabet der secretary hand des 17. und 18. Jahrhunderts (Abb. 272)
unterscheidet sich somit vom Alphabet dieser Schrift nur sehr wenig, lediglich das с
ist hier in der alten englischen, dem t nahestehenden Form vertreten. In der Zeichnung
des e werden die Maße des oberen Bogens übertrieben, so daß das Ganze mehr dem
tschechischen Buchstaben с mit dem zum eigentlichen Schriftzeichen hinzugefügten
Häkchen ähnelt. Da dieser Haken zugleich als Verbindung zum folgenden Buchstaben
dient, kommen kuriose Gebilde zustande, die vor allem bei dem im Englischen oft
vorkommenden doppelten ее auffallen. Erhalten blieb auch der charakteristische Buch¬
stabe g in Gestalt etwa unseres heutigen y, das oben mit einer kurzen Horizontale
durchgestrichen ist. Die Schäfte des b, h, к, l sind fast sämtlich mit einer Schleife ver¬
sehen und das/und lange j tragen solche an beiden Enden. Viel besser hat das Majus¬
kelalphabet seine traditionelle Zeichnung beibehalten, wie es beispielsweise die ty¬
pische Form des F in Gestalt der Doppelminuskel /'erkennen läßt.
Im 18. Jahrhundert schritt die Degeneration dieser Minuskel noch weiter fort. Die
englischen Kalligraphen führten sie zwar weiterhin in ihrem Repertoire, so z. B.
George Shelley in seinem zweibändigen Sammelwerk Natural Writing aus den Jahren
1709 und 1714 und desgleichen in seiner weiteren Sammlung Alphabets in All Hands
um 1715, ebenso George Bickham in seinem berühmten Werk The Universal Penman
aus dem Jahre 1743, obwohl die secretary hand zu diesem Zeitpunkt nur noch in
besonders konservativen Kreisen verwendet wurde. In Bickhams Beispiel handelt es
sich jedoch bereits um eine geneigte, von den Schriften des neuen Stiltypus stark
beeinflußte Kursiv, die im kleinen Alphabet im Grunde nur durch die gotische Form
der Buchstaben d, r und des langen í an die gotische Skript gemahnt. Bei den weit
gotischeren Majuskeln, die jedoch einen geläufigeren Duktus aufweisen, lenkt der
Punkt in der Mitte des О-Rings unsere Aufmerksamkeit auf sich; vielleicht handelt
es sich um eine letzte Spur des Erbes der chancery hand des 13. Jahrhunderts. Von
gleichem Typus ist die secretary hand auch bei den übrigen englischen Kalligraphen
nach dem Ende des 17. Jahrhunderts. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts kommt
diese Kursiv in den Schreiblehrbüchern nur noch gewohnheitsmäßig vor; sie wird
mit immer spitzerer Feder geschrieben und mit dem unerläßlichen formalen Inventar
der zeitgenössischen Kalligraphie ausgeschmückt, wie sie in dieser Hinsicht in England
vor allem Edward Cocker (The Pen’s Triumph, London 1660) und Daniel (A Com¬
pendium of the Usual Hands, London 1664) kennzeichnet.
Als geläufigste englische Skript überhaupt wurde die secretary hand auch von den
Schriftgießern nachgeahmt, und als secretary type gehörte sie zum Schriftmaterial einiger
englischer Buchdrucker. Doch anders als bei ihren französischen und niederländischen
Analogien wurden in der Druckimitation der secretary hand, soweit man feststellen
konnte, keine Bücher gesetzt, seltene Fälle ausgenommen, wo es sich um Beispiele
von Kursivschriften handelte, sondern vor allem Zirkulare, Bekanntmachungen und
ähnliche Schriftstücke, auf die sich die Anwendung von Druckskripten auch in der
heutigen Typographie beschränkt. Als Druckschrift trat die secretary hand erst am
Ausgang des 16. Jahrhunderts in Erscheinung, und als erstes überhaupt bekanntes
Beispiel ihrer Verwendung nennt A. F. Johnson den Kolophon des Buches Bellum
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