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265. Loopende letter, 16 -17. Jahrhundert.
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ENGLISCHE GOTISCHE KURSIV
Buchstaben aufweist. Im Alphabet dieser Kursiv (Abb. 264) stellen wir vor allem
übertrieben verlängerte haarfeine Vertikalen fest, die von den fetten Schäften des f
und des langen j ausgehen. Ähnliche Striche ersetzen manchmal auch die Schäfte
des p und q. Charakteristisch sind hier die Form des e, die uns bereits aus den fran¬
zösischen Kursivschriften des gotischen Typus bekannt ist, und verschiedene Varian¬
ten des w. Mit dem immer noch stark eckigen Duktus und Gesamtcharakter ist diese
Schrift im übrigen ohne Zweifel der französischen lettre financière tributpflichtig. Sie
stellt zugleich eine Kanzleischrift dar, und van den Velde empfiehlt sie insbesondere
den Advokaten, Sekretären und Notaren, während er Kaufleuten rät, sich der loopende
letter zu bedienen (Tafel XCII), einer geläufigeren senkrechten, reich mit kalligra¬
phischen Schleifen versehenen Variante derselben Skript. Das Alphabet dieser zweiten
geläufigen niederländischen Hauptkursiv des gotischen Typus (Abb. 265) zeigt einen
viel größeren Reichtum an verschiedenen und oft sehr zahlreichen Schreibmodifika¬
tionen einzelner Buchstaben, in denen wir den Einfluß französischer, spanischer und
deutscher Vorbilder feststellen können. Die charakteristische Form des/und des langen
s macht sich hier gleichfalls am deutlichsten geltend. Vorwiegend von oberdeutschen
Kursivschriften beeinflußt sind zwei weitere, bereits kursiv geneigte Varianten der¬
selben Skript, die als vallende loopende letter bezeichnet werden und sich voneinander nur
durch die Richtung unterscheiden, in der die Schrägneigung der Schriftachse erfolgt.
Denn die vorwaerts vallende loopende letter neigt sich nach rechts und die achterwaerts
vallende loopende letter in der Gegenrichtung, was oft nur bei den Schäften des m, n, и
sichtbar wird. Es sind dies bereits völlig kursive Schriften, und in den Beispielen Jan
van den Veldes werden sie kalligraphisch auf verschwenderische Weise von einer lau¬
nischen Feder mit zusätzlichen Schnörkeln versehen. Und eben dieser niederländische
Schreibstil wurde zu seiner Zeit außerordentlich bewundert und in ganz Europa eifrig
nachgeahmt.
Zu sehr interessanten Formen der Kanzleischrift entwickelte sich schon im 13.
Jahrhundert die frühe englische gotische Kursiv. Auf diese Entwicklung wirkte zweifellos
die bis dahin noch nicht ganz erloschene Tradition der heimischen Kalligraphie mit
ein, deren Spuren eine gewisse Dekorativität des Duktus oder wenigstens die Form des
scharfen, tief unter die Fußlinie verlängerten r, eines charakteristischen Kennzeichens
der Buch- wie der urkundlichen angelsächsischen Minuskel, noch lange erkennen
läßt. Was das Dekorative der Schriftzeichnung betrifft, hat unter den Kursiven des
gotischen Typus eine Urkundenskript, die official bookhand genannt wurde und sich in
der königlichen und den kirchlichen Kanzleien Englands schon um die Mitte des 13-
Jahrhunderts (Steffens) zeichnerisch stabilisierte, sicherlich nicht ihresgleichen. In
ihren ältesten Beispielen aus dem Londoner Record Office (Tafel XCIV) kommt
diese Dekorativität in der Zeichnung einer ganzen Reihe von Buchstaben zum Aus¬
druck, deren viele übrigens auch in mehreren Schreibvarianten Vorkommen. Durch
die ungewohnte Form lenken die Buchstaben b, h, l im Alphabet dieser Kursiv (Abb.
266) die meiste Aufmerksamkeit auf sich; ihre Schäfte sind oben in zwei tief nach
unten gebogene und die kursiven Verbindungslinien ersetzende Bögen gespalten, deren
linker, fetterer - wenn der Buchstabe isoliert geschrieben wird - offen bleibt, während
der rechte sich dem Schaft in Form eines Bauches anschließt. Beim l wird dieser Bogen
manchmal sogar erst an den Schaftfuß angeschlossen. Doch auch der linke Bogen
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