KURSIVSCHRIFTEN DES GOTISCHEN TYPUS
Eine unverhältnismäßig wichtigere spanische Schreibform, die sich aus der frühen
gotischen Kursiv unter dem Einfluß der Rotunda entwickelte und deren Bedeutung
und Wirkungsbereich nicht nur auf die Pyrenäenhalbinsel beschränkt blieb, ist jene
außerordentlich interessante Kursiv, die in spanischen, niederländischen und anderen
westeuropäischen Schrifthandbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts als REDON¬
DILLA präsentiert wird. Diese senkrechte und runde Kalligraphieskript ist in ihrem
Alphabet jedoch von Anfang an so von den humanistischen Schriftformen beeinflußt,
daß sämtliche Merkmale ihrer gotischen Herkunft zur isolierten gotischen Form des
d, das darüber hinaus wie in der aragonesa auch mit einem rückläufigen Bogen in die
Grenzlinien der mittleren Minuskelhöhe geschrieben wird, und der Rundform des r,
die zugleich mit dessen Renaissanceform verwendet wird, zusammengeschrumpft sind.
Auch in der Redondilla gab es je nach dem Grad der kursiven Gestaltung ihres Duktus
verschiedene Schreibmodifikationen, deren formalste die redondilla llana war (Abb. 262)
Ihre runden, aber schmalen Buchstaben wurden langsam und sorgfältig, gewöhnlich
isoliert und mit ziemlich breit zugeschnittener Feder geschrieben. Die nach oben ver¬
längerten Schäfte wurden mit seltenen Ausnahmen durch maßvoll gestaltete Schleifen
abgeschlossen, während die Schäfte des f j, p, q unten verhältnismäßig breite hori¬
zontale Serifen zeigten. Ähnliche horizontale Querstriche schlossen auch die nach
unten absinkenden Rundungen der Buchstaben h, y, z ab, sofern sie sich allerdings
nicht weit unter die Nachbarbuchstaben hinzogen. Viel weniger formal und mehr mit
kursiven Schleifen verbunden und verziert war die redondilla liberal (Tafel LXXXIX),
die meist mit einer weniger breiten Feder geschrieben wurde und ein kleiner dimen-
sioniei tes Schriftbild zeigte. Die Grundzeichnung ist hier jedoch noch fast unverletzt,
einschließlich der nach unten verlängerten Schäfte des f i, p, q. Eine dritte Form
dieser Kursiv war die schon völlig geläufige redondilla tirada, die in den spanischen
Kalligraphiehandbüchern des 17. Jahrhunderts oft auch als redondilla processada be¬
zeichnet wird. Es ist dies bereits eine nichtformale Skript des täglichen Gebrauchs,
obwohl gleichfalls vertikal und nicht immer mit konsequent gebundenem Duktus ge¬
schrieben. Die Serifen sind hier natürlich schon durch Schleifen oder einen scharfen
Abschluß des Strichs ersetzt. Im übrigen haben sich die Buchstaben meist in ihrer
Grundform erhalten, ausgenommen vielleicht weitere Kursivvarianten des d und vor
allem interessante Abkürzungen des p. Diese Gliederung der Redondilla war zwar im
16. und 17. Jahrhundert allgemein, wurde aber trotzdem nicht immer eingehalten.
So führt z. B. Diaz Morante in seinem Handbuch Arte de escribir, das 1624 in Madrid
erschien, unter dem Namen redondo processado seine Version einer Schrift vom Typus
der Redondilla an, eine verhältnismäßig stark formale und nur teilweise im Verbund
geschriebene Schrift. Eine andere Variante dieses Typus ist die castellana mas formada,
eine sehr formale, isoliert geschriebene senkrechte Schrift, die Juan de Yciar in seinem
Schrifthandbuch Recopilación subtilissima, herausgegeben 1548 in Saragossa, präsen¬
tiert. Von der Redondilla unterscheidet sich diese Castellana eigentlich nur durch
das besonders schmale Schriftbild, in dem überdies die unteren horizontalen Serifen
der unter die Fußlinie herabgezogenen Schäfte fortgelassen sind. Im übrigen ist diese
Schrift zeichnerisch praktisch dieselbe, einschließlich der charakteristischen Form
des d.
Weit mehr unterscheidet sich von ihr die letra de bulas, die spanische Replik der
Schrift der päpstlichen Kanzlei — lettera di bolle —, denn auch im fremden Milieu
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262. Redondilla llana, 16. Jahrhundert.
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