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242. Französische dornspitzige Bastarda. G. Tory, 1529.
LETTRE BÂTARDE
stand eine Modifikation, die wir französische dornspitzige Bastarda nennen könnten, wie
sie uns beispielsweise Geoffroy Tory in einem Alphabet seines Werkes Champfieury
aus dem Jahre 1529 vor Augen führt (Abb. 242). Das Dornspitzige geht bei Torys
lettre bâtarde so weit, daß die Schäfte des m und n unten in zwei und die des h gar
in drei Spitzen gespalten sind. Hingegen vergaß Tory merkwürdigerweise, die cha¬
rakteristische Form des v in sein Alphabet einzureihen.
Die ersten französischen Buchdrucker hielten die formale Buchschrift bezeichnen¬
derweise für ungeeignet zum Drucken von Texten in der Volkssprache. Das war in
der Zeit der Wiegendrucke in Europa mit Ausnahme Italiens fast überall der Fall,
und deshalb schaffte sich der Pariser Drucker Pasquier Bonhomme eine Druckreplik
der lettre bâtarde an, als er sich anschickte, den ersten französischen Text, Les grandes
chroniques de France aus dem Jahre 1477, zu drucken. Auf dieses Buch folgte alsbald
eine lange Reihe anderer, die die Pariser Drucker, z. B. Richard Blandin, Philippe
Pigouchet, Simon Vostre, Pierre Le Caron, Denis Meslier, Antoine Vérard u. a., aus
verschiedenen Schriften dieser Art setzten. Besondere Beachtung verdient Denis Mes¬
lier, weil er 1495 mit einer schönen Bastarda das Große Testament des François Villon
druckte, und vor allem Antoine Vérard, der wegen seiner prachtvollen Drucke mit
Holzschnittillustrationen, aber auch wegen seiner xylographischen Titelblätter mit
einer getreu nachgeahmten handschriftlichen lettre bâtarde und grotesken Initialen
weithin berühmt war (Abb. 243). Im übrigen ist die lettre bâtarde des geläufigen
Satzes dieser Drucker ihrem Schnitt nach in der Regel eine typische Bastarda mit
allen Hauptmerkmalen des handschriftlichen Vorbilds, mit der charakteristischen
Form der Lettern d, v am Anfang eines Wortes und mit den unter die Fußlinie ver¬
längerten Schäften des f und des langen s. In ihrem Gesamtcharakter pflegt diese
Schrift eher schmal und nur mäßig gebrochen zu sein. In den kleinen Lettern machte
sie bis 1500 keinerlei Wandlung durch, aber in den Versalien näherte sie sich bereits
den mit der Textur verwendeten Formen. Oft geschah es übrigens, daß zu beiden
Schriften ein gemeinsames Versalienalphabet verwendet wurde.
Erst etwa zehn Jahre nachdem die Druckbastarda in Paris auftauchte, wurde sie
durch Guillaume Le Roy oder Gaspar Ortuin in Lyon eingeführt. Auch in diesem
zweiten wichtigen Zentrum des französischen Buchdrucks hatte die Bastarda dieselbe
Zeichnung des kleinen Alphabets, das ähnliche Versalienvarianten begleiteten wie in
Paris, und auch hier setzte man daraus vorwiegend französisch geschriebene Werke
(Hessel). Die gedruckte lettre bâtarde überlebte das Ende des 15. Jahrhunderts und
wir begegnen ihr ziemlich oft im ersten Drittel des folgenden. Simon du Bois setzte
noch 1530 protestantische Bücher in Bastarda, und auch danach machte sich diese
Schrift sporadisch geltend, z. B. in volkstümlichen Drucken, wie sie Simon Calvarin
und Nicolas Bonfons in Paris in den siebziger und achtziger Jahren des 16. Jahrhun¬
derts aus einer stark abgenutzten Bastarda setzten (Brun). Zu dieser Zeit hatte die lettre
bâtarde allerdings schon lange ihren Platz im französischen Buchdruck verloren, und
ihre Stelle nahmen neue Druckschriften des Renaissancetypus ein, die so schnell ein
absolutes Übergewicht gewannen, daß beispielsweise Jean de Tournes seine Buch¬
druckertätigkeit in Lyon 1542 mit einem Schriftmaterial begann, in dem weder die
Bastarda noch eine andere Schrift des gotischen Typus vertreten war. Erst im 18.
Jahrhundert versuchte Pierre Simon Fournier die alte Bastarda als Buchschrift wieder
zur Geltung zu bringen, aber damals konnte eine solche Schrift nur noch als histo-
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