ЯФ<с:(5>е^ш^
enfio
áSuvbl*
ruta
2?о. Frühe französische gotische Kursiv, 13. Jahrhundert.
416
KAPITEL III. DIE KURSIVSCHRIFTEN DES GOTISCHEN TYPUS
ALS KURSIVSCHRIFTEN des gotischen Typus und nicht nur als gotische Kursiv¬
schriften sind die Formen dieser ausgedehnten Gruppe meist zu bezeichnen, nicht nur
weil sie - anders als die formalen gotischen Buchschriften - ihre eigene Stilepoche
lange überlebten, sondern weil viele darüber hinaus erst am Ausgang oder gar nach
dem Ausklang des gotischen Universalstils entstanden oder zu ihrer vollen Entfaltung
gediehen. Wir begegnen ihnen noch in der Renaissance und im Barock, aber auch in
der Neuzeit, wie z. B. in den böhmischen Ländern, und sogar in neuester Zeit, wie es
erst ganz kürzlich in Deutschland und den Ländern mit deutscher Umgangssprache
der Fall war. Während einer so langen Dauer ihrer - wenn auch nicht überall allge¬
meinen - Anwendung verzweigten sich diese Kursivschriften des gotischen Typus zu
einer ungewöhnlichen Vielzahl formaler Modifikationen, die zu einer erschöpfenden
Übersicht zusammenzufassen weder eine leichte noch eine verlockende Aufgabe ist.
Schwierigkeiten finden sich schon an der Wurzel des Stammbaums der gotischen
Kursiv. Ihre Entstehung ist bisher wissenschaftlich noch nicht ganz geklärt, weder
Zeit noch Ort ihres Ursprungs sind mit Sicherheit festgestellt und auch die Frage
ihrer möglichen Vorgänger ist strittig. Nur wenige Beispiele kursiver Schriftstücke aus
der Endphase des frühen Mittelalters sind erhalten, was mehr auf den Mangel und
den hohen Preis des Schreibmaterials zurückzuführen ist, als auf seine geringe Re¬
sistenz oder die untergeordnete Bedeutung geläufiger schriftlicher Korrespondenz und
auf Vermerke, die zwecks Erhaltung für die Nachwelt mehr Sorgfalt nicht verdienten.
Die Zahl solcher Schriftdenkmäler aus dieser historischen Periode ist auch deswegen
minimal, weil die Kenntnis des Lesens und Schreibens minimal verbreitet war, denn
viele Angehörige selbst der höchsten Laienkreise der damaligen gesellschaftlichen Stu¬
fenleiter waren dieser Kunst nicht mächtig. Bei so bescheidenen Ansprüchen an die
Schrift kam man zweifellos jederzeit mit einer geläufiger geschriebenen karolingischen
Minuskel aus, die für eine so lange Zeitspanne auch zur Schrift der Urkunden und
geläufigen Vermerke wurde, wie es z. B. die Marginalien gebildeter Leser in zeitge¬
nössischen Kodizes beweisen. Die Kontinuität der Entwicklung der lateinischen Kur¬
siv wurde somit durch den Einfluß der karolingischen Minuskel so empfindlich unter¬
brochen, daß von allen Abarten der jüngeren römischen Kursiv im 12. Jahrhundert,
das die frühesten Spuren einer gotischen Kursiv erkennen läßt, mit der uns bereits
bekannten Ausnahme der von der karolingischen Minuskel übrigens allzu stark be¬
einflußten Urkundenschriften der kaiserlichen und päpstlichen Kanzlei in Gestalt
der diplomatischen und Kurialminuskel, nur noch die Kursiv der süditalienischen
Notarurkunden, die der fränkischen Buchminuskel am längsten Widerstand leistete,
in Gebrauch war. Mit dieser Ausnahme kommen vor dem 12. Jahrhundert keine
unzweifelhaften Merkmale einer wirklichen Kursiv und um so weniger einer allge¬
meinen Kursiv mehr vor.
Parallel mit der Gotisierung der Buchminuskel während des 12. Jahrhunderts nimmt
auch die Urkundenminuskel gotische Formen an, ohne sich dadurch von der eben
entstehenden frühen gotischen Buchminuskel allzusehr zu unterscheiden. Doch wo
man mehr Gewicht auf den möglichst schnellen schriftlichen Vermerk legte, wie z. B.
4x7