233> 234• Konstruierte Rotunda. Vespasiano Amphiareo, 1554.
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ROTUNDA
Es scheint jedoch, daß erst Erhard Ratdolt, der, wie bereits gesagt, i486 ebenfalls
aus Venedig nach Augsburg zurückkehrte, mit seinen zehn Rotundaschriften das
Hauptverdienst gebührt, sie in die übrigen Zentren des deutschen Buchdrucks ver¬
breitet zu haben. Auch der Einfluß der Typographie Ratdolts wirkte anregend, auf
das deutsche Buchschaffen, obwohl Ratdolt selbst den hohen Standard seiner vene¬
zianischen Tätigkeit zu Hause nicht mehr übertraf. Unter den zahlreichen in Rotunda
gesetzten deutschen Drucken sei als schönes und typisches Beispiel die großartige Bild¬
chronik des Hartmann Schedel Liber chronicorum aus dem Jahre 1493 genannt; sie
wurde vom dem bedeutenden Nürnberger Drucker Anton Koberger gedruckt und ist
vor allem dadurch bemerkenswert, daß sie viele Holzschnittansichten verschiedener
Städte und Ortschaften enthält (Abb. 231). Um 1500 setzte man in Deutschland latei¬
nische und deutsche Texte in Rotunda, aber seit 1510, da man die lateinischen Texte
mit einer Schrift des Renaissancetypus zu drucken begann, trat die Rotunda als Text¬
schrift in den Hintergrund, und ihr Ende beschleunigte in Deutschland die Entstehung
neuer deutscher spätgotischer Schriften, die wir hier unter den Kursivschriften des
gotischen Typus behandeln werden.
In England wurde die Rotunda nie heimisch, und wo sie für den Druck verwendet
wurde, war sie offenbar fremder Herkunft. Eine italienische Rotunda besaß John
Letou’in London im Jahre 1480 und Theodor Rood in Oxford verwendete seit 1481
eine Rotunda des Jensonschen Schnitts als Auszeichnungsschrift (Hessel). De Worde
und Pynson setzten die Anmerkungen zu ihren Texten in Rotunda. Die letzten Ro¬
tundaschriften in England waren wahrscheinlich die Robert Redmans und Thomas
Berthelets, der bis 1544 mit einer Rotunda druckte (Johnson).
Nach Böhmen wurde die Rotunda von Jan Alakraw eingeführt, der 1484 in Vim-
perk (Winterberg) tätig war. Mit einer solchen — vielleicht italienischen Ursprungs —
druckte er im erwähnten Jahre insgesamt drei Werke, davon zwei lateinische - Pseudo-
Augustinus, Soliloquia, und Albertus Magnus, Summa de eucharistiae sacramento -
und ein tschechisches, das Lunarkalendarium auf das Jahr 1485. Auch Konrad Stahel
und Matthäus Preinlein in Brünn und Olmütz, die sich selbst als impressores Veneti
bezeichneten, um so auf ihre vorherige Tätigkeit in Venedig hinzuweisen und ihre
Zugehörigkeit zur venezianischen typographischen Schule Ratdolts kundzutun, druck¬
ten eine ganze Reihe lateinischer und ein deutsches Buch für die Zwecke der katholi¬
schen Kirche in Mähren mit einer Rotunda. Ihre Typographie hatte tatsächlich euro¬
päisches Niveau und manche ihrer Drucke, z. B. die Chronica Hungarorum aus dem
Jahre 1488 (Abb. 232), vertragen ohne Zweifel den Vergleich mit den besten Bei¬
spielen des Buchschaffens jener Zeit. Eine Rotunda besaß neben anderen Schriften
auch der hier bereits erwähnte Konrad Baumgarten in Olmütz in den Jahren 1500-
1502 und nach ihm ebendort Liborius Fürstenhain, ein nicht allzusehr qualifizierter
und mit Schriftmaterial nicht sonderlich ausgestatteter Drucker, dessen Tätigkeit in
Mähren nur ein einziges lateinisches, ziemlich unachtsam oder wenig kunstfertig ge¬
setztes und gedrucktes Buch nachweist, nämlich Marci ad Moravorum pueritiam pe-
dagogus Grammatices von 1504. Eine Rotunda besaß später beispielsweise Oldrich
Velenskÿ in Belä pod Bezdezem, der sie 1519 im Titelblatt und Text der Schrift des
Erasmus verwendete. Sonst begegnen wir der Rotunda als Textschrift noch in dem
Buch Lykarství vyborné (Ausgezeichnete Arztkunst) des Euricius Cordus, das 1529
in Prachatice gedruckt wurde, und 1536 in den gedruckten Landrechtsbefunden
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