GOTISCHE BUCHMINUSKEL
graphische Punkte. Bei so kleinen Maßen waren begreiflicherweise aus technischen
Gründen gewisse Abänderungen zuungunsten der Reinheit der Schriftzeichnung not¬
wendig. Die frühe heimische Drucktextur wurde zum Vorbild für weitere englische
Drucker, die sie das ganze 16. und 17. Jahrhundert lang im ganzen unverändert
nachahmten. Mit einer Textur vom Schnitt Pynsons druckte z. B. John Day noch
in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ganze Buchtexte, und ähnlich ging in der
Mitte des 17. Jahrhunderts der Londoner Drucker Barker zuwege, dessen Textur
sich praktisch fast überhaupt nicht vom frühen Prototyp der black-letter unterscheidet.
Die Tradition war hier sogar so stark, daß Dr. Fell noch in der zweiten Hälfte des 17.
Jahrhunderts es für notwendig hielt, die Oxforder Universitätsdruckerei mit einer
Textur desselben Schnitts auszustatten. Die Textur blieb in England als Textschrift
bis zum Ende des 17. Jahrhunderts in Gebrauch, zumindest in gewissen juristischen
Drucken, und ein spätes Beispiel ihrer Verwendung in einem Druck dieser Art stammt
sogar noch aus dem Jahre 1742 (Johnson). Als Schrift für Titel und Überschriften ist
die Textur vielleicht überhaupt nie aus dem englischen Buchdruck verschwunden und
figuriert auch heute noch zu Zwecken des Akzidenzdrucks im Schriftmaterial der
englischen Druckereien. Im wesentlichen behielt sie stets ihre alte traditionelle Grund¬
konstruktion bei, auch in den Neuausgaben, die alle bedeutenden englischen Schrift¬
gießer und Schriftgießereien wie Caslon & Son, Thorne, Thorowgood, Fry und Fig-
gins und sogar amerikanische wie z. B. Binny & Ronaldson unter der Bezeichnung
black-letter seit der zweiten Hälfte des 18. und vor allem seit Beginn des 19. Jahr¬
hunderts in Massen herstellten. Vor allem die fetten dieser Akzidenzvarianten (Abb.
214) waren seit dem 19. Jahrhundert sehr beliebt, aber auch die black-letter von
normalem Schnitt wird nicht abgelehnt und existiert ständig in schönen Repliken auf
dem Schriftgußmarkt.
Die ersten böhmischen Drucke wurden zwar in einer anderen Schrift des gotischen
Typus gesetzt, aber die Drucktextur diente noch in der Zeit der Wiegendrucke in
Böhmen zum Setzen katholischer lateinischer liturgischer Bücher, sofern deren Druck
heimischen Druckerwerkstätten übertragen wurde. In Böhmen hatte die Drucktextur
ihre Vorläufer in schönen heimischen Manuskriptschriften, und man könnte demnach
wenigstens für die älteste Zeit ihren heimischen Ursprung voraussetzen. Doch aus den
ersten Jahrzehnten böhmischen Buchdrucks hat sich eine Drucktextur nur in einem
einzigen Fall erhalten, nämlich im Missale ecclesiae Pragensis aus dem Jahre 1479,
dem Werk eines unbekannten Druckers, der wahrscheinlich im katholischen Pilsen
arbeitete. In seiner Geschichte des tschechoslowakischen Buchdrucks aus dem Jahre
1930 bezeichnet Zdenëk Tobolka auch die zweite Schrift dieses Drucks sowie jene des
Buches Agenda Pragensis desselben Druckers etwa aus der gleichen Zeit und weiter
auch die Schrift des in Neu-Pilsen 1476 gedruckten Buches Statuta provincialia Arnesti
als Textur. Keine dieser drei Schriften ist es aber, denn sie entsprechen nicht nur
nicht der Definition der Textur, sondern nicht einmal den zur Charakterisierung einer
formalen Buchschrift notwendigen Erfordernissen. Die einbäuchige a-Form, die unter
die Fußlinie verlängerten Schäfte des / und des langen gar nicht zu reden vom
flüchtigen Duktus des Ganzen - all das spricht im Gegenteil unzweifelhaft für ihre
Einordnung unter die Schriften kursiven Ursprungs, in welchem Zusammenhang wir
sie somit später erwähnen werden, ohne eine gewisse Eckigkeit ihrer Schriftzeichnung,
das einzige Merkmal ihrer vorgeblichen Verwandtschaft mit der Textur, zu vergessen.
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214. Black-letter. W. Caslon, 1821.
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