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unno p / 5TU / 0 /Л /70. Diplomatische Minuskel, 12. Jahrhundert. 300 DIPLOMATISCHE MINUSKEL schrift dennoch ihren charakteristischen kursiven Urkundenduktus bei; das bezieht In den höfischen Urkunden des 11. und 12. Jahrhunderts, die mit der diplomati¬ 301
sich nicht nur auf den Gesamtaspekt, sondern auch auf das Festhalten an der mero-
wingischen Kursivform des Buchstabens a. Auf den ersten Blick unterscheidet sich
also die Schrift einer Urkunde Rudolfs, Herzogs von Burgund, die erst im Jahre 931
geschrieben wurde (Abb. 168), nicht besonders von der merowingischen königlichen
Kursiv der vorangegangenen Zeit. Ein gewisser Fortschritt macht sich in der kalli¬
graphischen Ausführung bemerkbar, aber bei näherer Untersuchung stellen wir fest,
daß einige für die merowingische und karolingische Kursiv außerordentlich typische
Formen auch im Alphabet der diplomatischen Minuskel dieser und anderer Urkunden
des 10. und 11. Jahrhunderts (Abb. 169) nicht mehr zu finden sind. So haben die
Buchstaben c, d, g, о, и bereits ihre heutige Minuskelkonstruktion, die die kalligra¬
phische Ausführung allerdings oft verschleiert. Seine Kursivform behält, wie bereits
gesagt, nur das a bei, und manchmal auch das t. Aus der merowingisch-karolingischen
Kursiv wurden jedoch das kleine Schriftbild und die stark gedehnten Oberlängen der
Buchstaben b, d, h, l, s übernommen; diese Oberlängen werden auf verschiedene
Weise oben rundgebogen oder mit einfachen oder komplizierteren mehrfachen Schlei¬
fen verziert. Mit einer hoch nach oben gezogenen Schleife ist auch das с ähnlich wie
zuvor in der merowingischen Kursiv versehen. Interessant die charakteristische Form
des g und der Ligaturen ct und st. Dieselbe im wesentlichen kalligraphische Ordnung
behält die diplomatische Minuskel auch im 12. Jahrhundert bei, aber ihr Schriftbild
beginnt nunmehr schmäler zu werden und in Übereinstimmung mit dem neuen Stil
eckige Formen anzunehmen. Als Beispiel dieser späten Form der diplomatischen Mi¬
nuskel sei hier die älteste erhaltene böhmische Urkunde genannt, ein ursprüngliches
Diplom des Fürsten Sobëslav I. aus dem Jahre 1130 (Tafel LXI) und ein schöner
Beweis für das hohe Niveau des böhmischen Schreibwesens dieser Zeit. Das formal
vollendete Alphabet der diplomatischen Minuskel dieser und anderer Urkunden des
12. Jahrhunderts (Abb. 170) ist in der Schriftzeichnung bereits viel disziplinierter und
auch in der kalligraphischen Zierwirkung der weit nach oben verlängerten Schäfte
gemäßigter. Diese Oberlängen sind entweder nach rechts gebogen oder mit Serifen
versehen oder sie werden mit einer oder mehreren Schleifen abgeschlossen. Das с ist
nicht mehr mit einer Schlinge bekrönt und auch das g zeigt eine einfache Minuskel¬
form. Eine schöne Zeichnung, die sicherlich besondere Aufmerksamkeit verdient, hat
hier das w, aber am bemerkenswertesten an diesem Alphabet ist die Tatsache, daß
die alten merowingischen Kursivformen noch nicht ganz verschwunden sind. Auch
die offene Zeichnung des Buchstabens a kommt noch vor, aber zugleich ist es schon
in seiner heutigen Minuskelform mit vertikalem Schaft vertreten. Im ganzen handelt
es sich um eine wirklich schöne Schrift dieser Zeit. Doch schon vom Beginn des 13.
Jahrhunderts an tritt sie hinter der zeitgenössischen Buchschrift zurück, die in der
kaiserlichen und anderen Hofkanzleien ein entschiedenes Übergewicht gewinnt, um
die diplomatische Minuskel noch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts aus den
Diplomen und anderen Hofurkunden restlos zu verdrängen und so ihr Ende herbei¬
zuführen.
schen Minuskel geschrieben wurden, lebte sich die Gewohnheit ein, Personen- und
Ortsnamen mit großen Anfangsbuchstaben zu schreiben. Ebenso wurde manchmal,
aber nur selten konsequent, auch der Satzanfang bezeichnet. Aus dieser Praxis ent-