166. Karolingische Kursiv, 8.-д. Jahrhundert.
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KAROLINGISCHE KURSIV
LX) auf den ersten Blick mit ihrem Prototyp nichts mehr gemein zu haben scheint.
Bei näherer Untersuchung stellen wir jedoch fest, daß diese karolingische Kursiv in
ihrem Alphabet (Abb. 166) einige Buchstaben enthält, die grundsätzlich dieselbe für
167. Diplom Ludwigs des Frommen aus dem Jahre 822. Detail.
die merowingische Kursiv typische, aber kalligraphisch gestaltete Form zeigen. Wir
finden hier dasselbe a in Gestalt des doppelten cc vor, dasselbe spiegelverkehrte Bild
der arabischen Zahl 3 für den Buchstaben c, die gleiche Form beim e und t. Interessant
entwickelt hat sich jedoch das g mit kleinen Bäuchen an den Enden des langen, leicht
gebogenen Schaftes, und ein ähnlicher kleiner Bauch ist am Fuß des sehr langen
Schaftes des Buchstabens b angebracht. Mit der stark ausgeprägten Verengung des
Schriftbildes aller Buchstaben des Alphabets haben sich die Oberlängen des b, d, h,
i, l in den gesamten gewöhnlich sehr breiten Raum des Zeilenabstands vorgeschoben.
Dabei zeigen diese Schäfte die gleiche elegant durchgebogene Kurve, was im Text¬
ganzen von außerordentlich dekorativer Wirkung ist.
Trotz einer gewissen Verbesserung der Schreibausführung blieb auch diese karolin¬
gische Kursiv noch eine sehr schlecht lesbare Schrift. Dazu trugen zweifellos die wei¬
terhin beibehaltenen Merkmale des traditionellen merowingischen Duktus bei, und
es war somit an der Zeit, auch in dieser Hinsicht baldmöglichst Reformschritte zu
unternehmen. In der kaiserlichen Kanzlei verspürte man jedoch anscheinend keine
besondere Lust dazu, weshalb der Einfluß der gleichzeitig Gestalt annehmenden karo¬
lingischen Buchminuskel auf die Schrift der Urkunden noch an der Wende des 8. und
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