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162. Altere Kuriale, y.-10. Jahrhundert.
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KURIALE
doppelten tí figuriert, wobei das erste t manchmal oben seine Krümmung einbüßt
und sich in einen geraden Schaft verwandelt. Das b behält seinen Miniaturbauch bei
und aus der Rundung des t ragt immer noch der Dorn heraus, sofern es nicht gar in
zwei übereinander liegende Rundungen zerfällt, deren obere weit über die mittlere
Minuskelhöhe hinausreicht. Auch das d kommt zuweilen in den Ligaturen noch mit
offenem Bauch vor. Die Buchstaben e und /haben kleine Schleifen wie bisher und
auch das g ist nicht in allen Fällen seiner kursiven Form entwachsen. Dasselbe gilt
von den Buchstaben 0, r, s und t. Bei anderen kann man jedoch bereits den Einfluß der
Halbunziale feststellen, und das ganze Alphabet ist durch die standardisierte Zeich¬
nung einer formalen Buchminuskel mit mäßigem Strichstärkewechsel gekennzeichnet.
Die solchermaßen konstituierte merowingische Buchminuskel stellte zweifellos be¬
reits eine Schrift dar, von deren weiterer Entwicklung man viel erwarten konnte.
Doch zu dieser Entwicklung sollte es nicht mehr kommen, denn gerade im fränkischen
Reich trat zu diesem Zeitpunkt in der Entwicklung der Lateinschrift ein so bedeut¬
samer Umschwung auf, daß nicht nur der Charakter des altfranzösischen Schreib¬
wesens, sondern auch die Gesamtorientierung der Entwicklung der Lateinschrift über¬
haupt verändert wurde.
Der Gruppe der ‘nationalen’ Schriften können wir noch zwei Schriftformen des
frühen Mittelalters zuordnen, die gewöhnlich, vielleicht ihres ‘internationalen’ Cha¬
rakters wegen, gesondert behandelt werden. Dessen ungeachtet steht ihre direkte ent¬
wicklungsmäßige Beziehung zu zwei der hier genannten ‘nationalen’ Schriften, der
langobardischen und der merowingischen, völlig außer Zweifel, und es wird daher
angebracht sein, sie bereits an dieser Stelle zu erwähnen. Es handelt sich um die
kursiven Schriften offizieller Urkunden, die von den zentralen Kanzleien der höchsten
machtpolitischen Institutionen des Frühmittelalters ausgefertigt wurden: um die
SCHRIFTEN DER PÄPSTLICHEN UND KAISERLICHEN URKUNDEN.
Nach dem Vorbild der römischen kaiserlichen Kanzlei vom Ausgang des Altertums,
die ihren Sitz damals bereits in Konstantinopel hatte, und der ihr vorbehaltenen
Schrift, der kaiserlichen Kursiv, die wir unter der Bezeichnung litterae coelestes kennen¬
gelernt haben, nahmen die päpstliche wie die kaiserliche Kanzlei für sich das Recht
in Anspruch, eine ihnen allein vorbehaltene und geschützte Schriftform für die Aus¬
fertigung von Dekreten, Bullen, Diplomen, Staatsverträgen und anderen hochwichti¬
gen Urkunden zu verwenden. Sie taten dies in der berechtigten Überzeugung, die
Machtvollstrecker der Haupterben des römischen Imperiums zu sein, denn das Franken¬
reich war dessen unmittelbarer Erbe im weltlichen Bereich der politischen Macht,
das Papsttum Erbe des römischen Absolutismus im spirituellen Bereich. In den Zen¬
tralkanzleien dieser mächtigen Institutionen entwickelte sich eine besondere konser¬
vative Schrift von stark ausgeprägtem Charakter, die eine lange Zeitspanne stabil
blieb. Ihren Stempel trugen später auch die Urkunden anderer höherer Kirchen-
und Hofbehörden.
In der päpstlichen Kanzlei diente schon etwa seit dem 7. Jahrhundert als Urkun¬
denschrift eine Modifikation der jüngeren römischen Kursiv, die sich im Laufe des
8. Jahrhunderts zur typischen Schrift der römischen Kurie entwickelte und in der
Paläographie als KURIALE bezeichnet wird. Ihr eigenartiger Duktus, durch den sie
sich von den übrigen lateinischen Schriften des Frühmittelalters unterscheidet, brachte
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