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136. Westgotische Kursiv, 8.-д. Jahrhundert.
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LANGOBARDISCHE SCHRIFT
Im Alphabet dieser Schrift (Abb. 154) verbarg sich hinter dem dekorativen Duktus
die uns zum Großteil bereits bekannte und von der römischen Buch-Halbkursiv ab¬
geleitete Konstruktion der einzelnen Buchstaben. Dieses primär Kursive wird hier
jedoch nur durch die Anwesenheit zahlreicher Ligaturen, die einbäuchige Form des
a sowie der unter die Fußlinie verlängerten Buchstaben/^und langes s dokumentiert.
Sonst ist das a hier im wesentlichen weiterhin mit derselben Zeichnung in Gestalt
des doppelten cc vertreten, nur mit dem Unterschied, daß sein Bauch sich inzwischen
geschlossen hat. Diesem Buchstaben sehr ähnlich ist das t, dessen Querstrich links so
stark nach unten gebogen ist, daß er sich in einigen Handschriften unten dem Schaft
anschließt. Am Ende eines Wortes hat dieser Buchstabe oft eine neue Form, die an die
arabische Zahl 2 erinnert. Das e ist hier bisher in der Form der spiegelverkehrten ara¬
bischen Zahl 3 vertreten, deren oberer Bogen geschlossen wird und immer über die
mittlere Mfnuskelhöhe hinausreicht. Die Buchstaben J und langes s sind nur schwer
zu unterscheiden; eine kaum merkliche Differenz der Querstrichlänge ist das einzige
Unterscheidungsmerkmal. Das n kommt nunmehr bereits immer in reiner Minuskel¬
form vor. Das g behält hingegen noch seine alte offene Zeichnung bei. Eine bezeich¬
nende Form hat das r mit Dorn auf dem Schaft und geradem zweitem Strich. Die
übrigen Buchstaben erinnern im großen und ganzen an die Formen der römischen
Halbunziale, das d, das seine Unzialform beibehält, ausgenommen. Die nach oben ver¬
längerten Schäfte werden durch einen fetten Duktus hervorgehoben und oben keulen¬
förmig verstärkt, während die Schäfte der Buchstaben p, q, r, s nach unten hin schmäler
werden. Das ganze Alphabet hat ein gemeinsames Merkmal in dem hier bereits er¬
wähnten eckigen Duktus, gewissermaßen einem Vorzeichen der gotischen Schriften.
Dieser kantigen, gebrochenen Schriftzeichnung wegen wird die erwähnte Form in
manchen französischen Handbüchern der Fachliteratur sehr bezeichnend lombard brisé
genannt (Silvestre). In dieser gebrochenen Form, ebenso wie in der eigentlichen Kon¬
struktion blieb diese Schrift im wesentlichen bis zu ihrem Absterben unverändert. Nur
die Kanten und Scheitel der Kopf- und Fußquadrate der Buchstaben sind vielleicht
noch schärfer, desgleichen der Kontrast der fetten Flecke und der haarfeinen Reste
dünner Striche. Damit hat sich allerdings keineswegs die Lesbarkeit erhöht, die übri¬
gens infolge der zahlreichen Ligaturen immer gering war. Auch die fast identische
Zeichnung gewisser Buchstaben beeinträchtigte sie, wie z. B. beim a und t, beim l
und i, das oft über die mittlere Minuskelhöhe hinaus verlängert wird. Schon am Ende
des 12. und im Laufe des 13. Jahrhunderts, in der Abschlußphase ihrer Entwicklung,
degeneriert diese kalligraphische Schrift nach und nach bei gesteigerter Gotisierung,
Brechung, Knickung und Schärfe der Schriftzeichnung immer mehr (Abb. 155). Ob¬
wohl sie zu dieser Zeit schon lange aufgehört hatte, die Hauptschrift der benedikti-
nischen Schriftschulen zu sein, kommt sie dennoch immer wieder nicht nur in Büchern,
sondern auch in Urkunden vor, bis sie am Ausgang des 13. Jahrhunderts mit dem
Ende der Kalligraphieschule von Monte Cassino ganz erlischt.
Eine andere, für die Gesamtentwicklung der Lateinschrift vielleicht weniger be¬
deutsame Modifikation der jüngeren römischen Kursiv ist eine weitere ‘nationale’
Schrift: die Kursiv der Westgoten. Die auf der Pyrenäenhalbinsel nach deren Be¬
setzung durch die Westgoten isolierte römische Kursiv machte eine ähnliche Ent¬
wicklung durch wie die langobardische Kursiv. Auch die Westgoten wurden völlig
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