133. Römische Kursiv ravennatischer Urkunden, 5.-6. Jahrhundert.
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JÜNGERE RÖMISCHE KURSIV
verbindet. Diese ihre Bedeutung verpflichtet uns zu einer eingehenderen formalen
Analyse.
Im Alphabet dieser ausgereiften Kursiv - wie übrigens in allen Kursivschriften -
hat jeder Buchstabe seine Grundform, die in den Ligaturen verschieden variiert wird.
Die Grundform des Buchstabens a der ravennatischen Urkunden ist im Wesentlichen
identisch mit jener des u, das in der Regel in seiner heutigen Gestalt erscheint. Unter¬
scheidungsmerkmal ist der zweite Schaft, der beim и gerade verläuft und nie mit dem
folgenden Buchstaben verbunden wird, während er beim a gebogen und im Gegenteil
immer mit dem Folgebuchstaben verknüpft ist. Das a füllt gewöhnlich die gesamte
mittlere Minuskelhöhe aus, aber bei gewissen Ligaturen der ravennatischen Urkunden
wird sein offener Bauch meist zur Miniatur verkleinert und hoch am Schaft angehängt,
so daß es von ungefähr dem heutigenjy ähnelt. Die Grundform des b steht der heutigen
Form dieses Buchstabens bereits sehr nahe. Die alte Grundkonstruktion des с bleibt
unverändert, aber seine Rundung wird immer noch in zwei Striche geteilt, deren
oberer gewöhnlich verlängert ist. Neben der fakultativen Unzialform weist das d meist
seine heutige reine Minuskelform auf, gewöhnlich mit oben offenem Bauch. Das e hat
im wesentlichen seine heutige Form, aber seine Schleife ist manchmal noch verhält¬
nismäßig hoch angebracht. Diese Form verändert sich jedoch in den verschiedenen
Ligaturen, die Schleife wird hochgezogen oder die Bogenlinie in zwei getrennte Züge
zerlegt. Das f steht mit seiner Grundkonstruktion dem r und dem s nahe. Alle drei
laufen unten in eine scharfe Spitze oder in eine schmale Schleife aus und unterscheiden
sich voneinander nur durch die Art der Krümmung des zweiten Zugs und durch ihre
Größe. Das stets Ligaturen bildende f nimmt in der Regel die ganze Höhe des Minus¬
kelsystems ein und sein zweiter Strich ist oben mit einer Schleife abgeschlossen. Das
r reicht gewöhnlich nur bis zur mittleren Höhe, wird aber manchmal nach unten
verlängert. Sein zweiter Zug wird entweder zu einer scharfen Spitze gebrochen oder
er bildet eine Wellenlinie. Das s ist zwar manchmal in den Grenzen der Mittelhöhe
geschrieben, aber öfter wird es nach oben und unten verlängert. Sein rechter Strich
krümmt sich stets zu einem schön geschwungenen Bogen. Die Rundung der Majus¬
kelform des g ist kleiner, aber dafür hat sich sein nach unten gezogener Schaft zu
jener Schlangenlinie vergrößert, die seine Minuskelform bis auf den heutigen Tag
kennzeichnet. Auch das h hat seine heutige Minuskelform. Das i kommt in seiner
Grundform selten isoliert vor, aber im übrigen bleibt diese unverändert : ein senkrech¬
ter Strich von mittlerer Minuskelhöhe, der u. U. durch eine Schleife verlängert wird.
Meist bleibt dieser Buchstabe jedoch im verlängerten Zug des vorangehenden ver¬
borgen. Das l hat seine heutige Minuskelform, erhält aber oft eine Doppelschleife.
Die Buchstaben m und n stehen gewöhnlich isoliert da, weshalb sich ihre heutige
Minuskelform stets rein geltend macht. Das 0 hingegen bildet immer den Bestandteil
einer Ligatur und seine ovale Zeichnung läuft oben spitz zu und wird beträchtlich
verkleinert. In sehr reiner Form pflegt das p und manchmal auch das q vertreten zu
sein, aber der Bauch des letzteren ist manchmal vom vorhergehenden Buchstaben
beeinflußt, so daß es dann der heutigen Minuskel y ähnelt. Das isolierte t ist bislang
durch seine ursprüngliche Majuskelform mit senkrechtem, unten gekrümmten Schaft
und horizontalem, zur Wellenlinie gebogenem Querbalken vertreten. In den Liga¬
turen treten bei beiden Zügen jedoch verschiedene Veränderungen auf, der Schaft
nimmt c-Form an, um von der scharfen Kurve des angedeuteten ursprünglichen
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