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/20. Klassische römische Kursiv, i. Jahrhundert v. Chr.
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KLASSISCHE RÖMISCHE KURSIV
terial geschriebenen klassischen Kapitale stammen, war die Kursiv bereits eine cha¬
rakteristische Schrift ihrer Zeit, und wir können sie somit als KLASSISCHE RÖ¬
MISCHE KURSIV bezeichnen. Jean Malion, aus dessen neuer Terminologie wir
hier für diese Schrift den Terminus ‘klassisch’ übernehmen, geht noch weiter, indem
er den Begriff ‘Kursiv’ verwirft und durch die Bezeichnung ‘gewöhnliche Schrift’
(écriture commune) ersetzt. Dazu führt ihn vor allem die Tatsache, daß die Römer
ihre Gebrauchsschrift wenigstens im 4. Jahrhundert selbst so nannten, wie sich aus
einer Urkunde der kaiserlichen Kanzlei aus dem Jahre 367 ergibt, wo die litterae com¬
munes von der besonderen, dieser Kanzlei vorbehaltenen Schrift, die wir später ken¬
nenlernen werden, unterschieden sind. Der Hauptgrund, warum Jean Malion es ab¬
lehnt, diese geläufigen Schriften als kursive zu qualifizieren, besteht darin, daß es sich
hier um keine besondere Urkundenschrift, keine spezielle litter a epistularis handelt,
denn mit derartigen Schriften wurden nicht nur Urkunden oder geläufige kursive
Schriftstücke geschrieben, sondern auch literarische Werke, also alle möglichen Hand¬
schriften ohne Sonderbestimmung und formale Ansprüche. Diesem Zweck diente, wie
wir bereits wissen, in beiden Kategorien gleicherweise die formale klassische Kapitale.
Die in diesem Sinne ‘gewöhnlichen’ Schriften wurden jedoch auch in der ganzen
folgenden Entwicklung der Lateinschrift von Fall zu Fall für literarische Zwecke ver¬
wendet, was sie allerdings keineswegs aus der Gruppe der Kursivschriften ausschließt.
Der Kursivcharakter einer Schrift besteht doch nicht im Inhaltlichen eines Textes,
sondern in der Art ihrer Konstruktion und ihres Duktus. Darum bin ich der Meinung,
daß wir in diesem Fall kein terminologisches Mißverständnis zu fürchten brauchen
und daher den eindeutigen Terminus, der sich eingelebt hat und befriedigt, getrost
beibehalten können.
Die Verwandtschaft der klassischen römischen Kursiv mit der formalen klassischen
Kapitale fällt schon bei flüchtiger Betrachtung der ältesten derartigen Handschriften
auf Papyrus auf, z. B. einer in einer Abschrift aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. erhal¬
tenen Urkunde aus Ägypten (Tafel XXXV). Wenn wir aus der Schrift dieser Hand¬
schrift ein Alphabet zusammenstellen (Abb. 120), wird die Übereinstimmung der
Zeichnung einer ganzen Reihe von Buchstaben mit denselben Buchstaben der klas¬
sischen Kapitale (Abb. 97) noch augenfälliger. Manche Buchstaben finden wir hier
jedoch mehr oder weniger verändert vor. Nicht allzu groß ist diese Veränderung beim
A, dessen Zeichnung durch Vereinfachung aus der zweiten Form dieses Buchstabens
in unserem Alphabet der klassischen Kapitale leicht abgeleitet werden kann. Der
erste Strich wird nicht nur durch den zweiten, die Serife, abgeschlossen, und der dritte
ist schräger geneigt, manchmal fast bis zu horizontaler Lage. Die Krümmung dieses
Strichs wird bis zur Fußlinie weitergezogen und parallel zum ersten Strich ausge¬
richtet, womit der Querstrich der ursprünglichen Majuskelform angedeutet ist. Eine
völlig andersgeartete und hier bisher nur im Zusammenhang mit der Schrift der
pompejanischen Wachstäfelchen erwähnte Form kennzeichnet den Buchstaben B. Es
handelt sich um die sogenannte Form mit linkem ‘Bauch’, über deren Ursprung die
Forscher seit langem widerstreitende Vermutungen anstellen. Erst Jean Mallon kam
meiner Meinung nach mit einer ganz klaren und graphisch begründeten Erklärung,
als er nachwies, daß diese rätselhafte Form im gleichen Duktus, in der gleichen Rei¬
henfolge der Striche geschrieben ist wie dasselbe Zeichen in der klassischen Kapitale
(Abb. 121). Es sind lediglich beide Strichpaare - die Züge 1-2 und 3-4 - beim
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