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iog. Römische Halbunziale, Anfang des 6. Jahrhunderts.
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RÖMISCHE HALBUNZIALE
der alten Terminologie des i8. Jahrhunderts, weil diese Bezeichnung, wie wir bereits
festgestellt haben, schwerlich Herkunft und Zusammensetzung des Alphabets der hier
gemeinten Schrift charakterisieren kann. Diese ist ja keine halbe Unziale, es sei denn
auf Grund ihrer Dimensionen. Und tatsächlich wurden in der älteren Paläographie
mit dieser Bezeichnung ziemlich ungerechtfertigt kleinformatige Schriften aller Art,
also auch solche von Majuskeltypus, bedacht. Manchmal wird der Name Halbunziale
durch andere ersetzt, wie z. B. vorkarolingische Minuskel (Wattenbach), aber auch dieser
ist schon deshalb ungeeignet, weil die lange Entwicklung der Halbunziale gewöhnlich
in eine vorkarolingische und eine karolingische Epoche eingeteilt wird und wir unter
dem Begriff der karolingischen Minuskel heute allgemein die Schrift eines weiteren
und fortgeschritteneren Typus verstehen. Es bleibt somit nichts anderes übrig als beim
alten traditionellen und in der paläographischen Literatur ständig verwendeten Ter¬
minus zu bleiben (Lowe, Battelli), den bisher kein neuer zu völliger Zufriedenheit
ersetzen konnte. Die Halbunziale ist natürlich noch nicht im Sinne unseres heutigen
kleinen Alphabets als eine der Unziale untergeordnete Form zu verstehen, sondern
sie stellt eine ganz eigenständige und unabhängig von der Unziale verwendete Schrift
dar. Das Verhältnis von Halbunziale und Unziale kann übrigens nur als entfernte
Verwandtschaft bezeichnet werden. Denn die Halbunziale ist nicht aus der Unziale
entstanden, sondern wie diese eine Mischform aus verschiedenen Elementen der for¬
malen Kapitale und der geläufigen älteren Kursiv. Was sie jedoch vor allem von der
Unziale unterscheidet, sind einige Buchstaben von gleicher Form wie sie im Alphabet
der jüngeren römischen Kursiv Vorkommen. Halbunziale und Unziale haben ihre
Vorfahren also in den älteren römischen gemischten Schriften des 2.-3. Jahrhunderts,
aber die Halbunziale in jener für das Schriftschaffen des Frühmittelalters typischen
Form soll nach der alten und immer noch verfochtenen Darlegung nicht früher ent¬
standen sein, als zu einem Zeitpunkt, da die jüngere Form der römischen Kursiv völlig
stabilisiert und verbreitet war, d. i. irgendwann im Laufe des 5. Jahrhunderts. Ent¬
gegen dieser Ansicht wird heute, wie hier bereits erwähnt, vielmehr die Meinung
verfochten, daß sich gerade diese jüngere römische Kursiv aus gemischten formalen
Schriften des 2.-3. Jahrhunderts, also eigentlich aus Schriften vom Typus der Halb¬
unziale entwickelt habe. Diese sympatische und sehr gut durch paläographische Do¬
kumente belegte Theorie vereinfacht stark die überaus verwickelten genealogischen
Probleme der römischen Schriften dieses Zeitabschnitts; wir werden noch Gelegenheit
haben, auf sie zurückzukommen.
Von den ältesten und am längsten bekannten Beispielen der frühen Halbunziale
muß an erster Stelle ein Pergamentkodex aus den vatikanischen Sammlungen genannt
werden, die Abhandlung De Trinitate des hl. Hilarius, entstanden unmittelbar vor
dem Jahre 510 (Tafel XXXI). Im Gesamtbild der Buchseite wirkt die Schrift dieser
Handschrift sehr formal und schon damit in gewisser Hinsicht der Unziale verwandt.
In ihrem Alphabet (Abb. 109) begegnen wir tatsächlich mehreren Formen, die mit
solchen der Unziale identisch sind, aber über diese wissen wir doch bereits, daß sie
auch in einigen gemischten Schriften des 2.-3. Jahrhunderts vorkamen, z. B. im Al¬
phabet der Schrift der Epitomae Livii (Abb. 103). Wir finden hier die im Grunde
gleich geformten Buchstaben B, C, D, H, I, L, M, N, O, P, Q, V, X, also mehr als
die Hälfte, und diese enthält zugleich eine beträchtliche Anzahl Buchstaben des Un-
zialalphabets. Dagegen haben die Buchstaben A, E, F, G, R, S, die sich in der Halb-
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