Beim Schreiben schalte man alle äußeren Störungen aus und arbeite mit Ruhe, aber auch mit einer ge¬
wissen Keckheit. Alle Hast und alles unnötige Herumpinseln sind zu vermeiden. Von großer Bedeutung
ist das Abstreichen und Zurichten des Pinsels auf dem Topfrand. Hierbei wird über die Qualität des
Striches schon mit entschieden. Man beobachte aufmerksam die Auswirkungen falschen Eintauchens
und Abstreichens, denn hier kann man nur durch eigene Erfahrung lernen. Der Pinsel ist scharf in
den Ecken anzusetzen und abzuheben, so daß in den Ecken nichts mehr nachzubessern bleibt. Der
Strich muß beim ersten Male „sitzen". Ein Ausbessern bringt keinen guten Erfolg.
Die Rundungen sind mit langen Strichen zu bilden. Man fasse vorher die Strecke ins Auge, die zu
ziehen ist und setze dann ohne Ängstlichkeit den Strich hin. Zur Not kann man diesen Zug wieder¬
holen, wenn die Form nicht gut getroffen wurde, aber immer mit langem Strich. Nie darf an der Form
in kleinlicher Weise herumgebessert werden. Man arbeite ruhig, aber aufmerksam und frisch. Als
Frucht solcher Selbsterziehung kann der Geübte dann im besonderen Falle sein Tempo mal steigern,
ohne in unzweckmäßige Hast zu geraten.
Bild 135. Das Strichziehen am Malstock,
von oben gesehen
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Die Anwendungsgebiete der Schrift
Die dekorative Schrift im Innenraum
Die Schrift bildet ein Ornament von magischer Wirkung. Sie ist für jeden Raum ein eindrucksvoller
Schmuck. Aber nicht nur ihre Formen sprechen unmittelbar. Als Vermittler der Sprache wird sie in
Versammlungsräumen, in Ausstellungen, Kulturhäusern usw. den Gedanken des Besuchers eine be¬
stimmte Richtung geben und ihn empfänglich für das Gebotene machen. Dabei empfinden wir die
ornamentale Schrift immer noch als eine zeitgemäße Lösung, während wir uns sonst vom Ornament
abgewendet haben.
Die Schrift im Innenraum gehört im wesentlichen zum Arbeitsfeld des Malers, da sie im Zusammen¬
hang mit der dekorativen Ausgestaltung steht. Die Schriftformen müssen sich der Raumstimmung an¬
passen. Die reine Sachform wird mehr Ausdruckswerte aufnehmen. Die Ausführung wird meist hand¬
schriftlich vorgenommen und läßt dem momentanen Einfall Raum. Die Formen sind demgemäß
lockerer und werden gefühlsmäßig, ohne besondere konstruktive Vorbereitungen, gebildet. Das ent¬
spricht auch dem Charakter des meistverwendeten Materials, der Leimfarbe, die eine freie Arbeits¬
technik zuläßt.
Gute Leistungen in solch freier Gestaltung setzen eine restlose Beherrschung der Schrift voraus. Man¬
gelnde Einfühlung ergibt einen hohl-dekorativen Ausdruck, mangelnde Beherrschung der Form ein
liederliches Schriftbild.
Auch alle sachlichen Hinweise im Innenraum, wie Garderobenschilder u. ä., sollen sich bei aller Deut¬
lichkeit formal und farbig der Stimmung des Raumes anpassen.
Das Plakat
Entsprechend seiner begrenzten Verwendungsdauer trägt das Plakat einen mehr improvisierten Charak¬
ter. Alles wird frisch und locker gestaltet. Der Plakatmaler gibt seinen Schriften eine unmittelbare,
leicht schreibbare Form. Wendigkeit und Geschmack sind notwendig, um das Plakat eindrucksvoll zu
gestalten. Man versuche nicht, an jeder Ecke „originell" zu sein. Wenn das Plakat einen Blickfang hat,
und sei es auch nur ein interessant geformtes Wort oder eine Initiale, so genügt das schon. Alles andere
erscheine in ruhigen Formen und in Gruppen zusammengefaßt. Das Plakat ist ein geeignetes Experi¬
mentierfeld für alles Neue. Entsprechend seines kleineren Formates und der Dämpfung durch die
Schaufensterscheibe soll es frisch in den Farben gehalten sein. Ein guter Plakatmaler muß die bildliche
Darstellung einschließlich der Figur beherrschen. Besondere Aufgaben stellt die Filmwerbung.
Das Schild
Die erste Forderung, die wir an ein Schild zu stellen haben, ist seine Anpassung an die tragende Archi¬
tektur. Es darf keinen wichtigen Bauteil verdecken. Früher führte man oft Schilder in gefühlloser
Weise über Simse hinaus, die Schilder an Pfeilern waren willkürlich angebracht usw. Eine gewisse
Besserung ist durch die gemeinsamen Bemühungen der Stadtbauämter und des Handwerks schon ein¬
getreten. Man trage also Sorge, daß sich das Schild in seinen Abmessungen gut in die Umgebung
einfügt. Besonderen Takt erfordert das Anbringen von Schildern an Fachwerkhäusern. Pfeilerschilder
müssen stets einen angemessenen Rand in einem guten Maß Verhältnis frei lassen. Bei Holz- und Eisen¬
schildern bilden Randleisten einen viel schöneren Abschluß als ein nur aufgemalter Rand.
Die Schilderschriften stehen unter dem Gesetz der Außenarchitektur. Darum sind die Schriftformen
knapper und geschlossener als im Innenraum zu halten. Schon das schwerflüssigere Material der
Außenausführungen fordert stilistisch eine exaktere Durchbildung. Besonders kurze und großfor¬
matige Außenbeschriftungen zwingen zu genauer Durchbildung der Form. Fehler, die im kleinen
Maßstab und im dekorativen Zusammenhang kaum in Erscheinung treten, werden hier im hellen
Tageslicht deutlich sichtbar.
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