Die farbige Gestaltung
Die Toriwerte
Noch wichtiger als die Farbunterschiede sind für unsere Gesichtseindrücke die, Tonwerte. Sie ermög¬
lichen erst die deutliche Unterscheidung der Formen. Selbst der größte Farbenkontrast bleibt ohne
Wirkung, wenn er nicht zugleich ein Tonkontrast ist. Fehlt dieser, so entsteht ein unsicherer, das Auge
beleidigender Eindruck. Das deutlichste Beispiel ist die unmittelbare Zusammenstellung von Grün
und Rot.
Den stärksten Tonunterschied ergeben Schwarz und Weiß. Es ist aber nicht in jedem Falle auf den
größtmöglichen Kontrast hinzuarbeiten. Wie nicht die größtmögliche Schrift die beste Lösung dar¬
stellt, sondern ihr gutes und zweckmäßiges Verhältnis zur Umgebung, so ist es auch mit dem Ton¬
unterschied. Die Anwendung des stärksten Kontrastes ist daher nur in seltenen Fällen angebracht,
z.B. zur Überbrückung großer Entfernungen und in dämmrigen Räumen. Atmosphäre und Licht¬
mangel verwischen hier den Tonunterschied. Man wird deshalb versuchen, durch Anwendung eines
starken Kontrastes die Lesbarkeit zu erhalten. Anders verhält es sich bei Schriften, die im vollen Licht
und in geringer Entfernung stehen. Hier kann der Schwarz-Weiß-Kontrast oder eine ihm nahe¬
stehende Zusammenstellung unangebracht hart und grell wirken. Schon einen matten Farbfilm, der
das satte Schwarz zu einem dunklen Grau mildert oder den abschwächenden Einfluß des Bindemittels
auf das Weiß, empfinden wir dann als wohltuend.
GERSDORFER
Bild иг. Schrift und Grund nehmen annähernd die gleiche Fläche ein,
daher Mangel an Ruhe und Geschlossenheit
GERSDORFER
Bild 112a. Der kräftige Schwarz-Weiß-Kontrast fordert.eine kleinere und schwächere Schrift.
Das Bild ist ruhiger und übersichtlicher geworden.
Meist genügt das aber nicht. Durch Mildern der Tonunterschiede von Grund und Schrift muß die
richtige Einordnung in die Umgebung und der notwendige Grad von Deutlichkeit erzielt werden.
Das Aufsuchen des stärksten Kontrastes kann natürlich in besonderen Fällen angebracht sein, z.B.
um verhältnismäßig kleine Werbeanlagen gegenüber großen zur Geltung zu bringen. Je größer eine
Anlage ist, um so schwächer müssen die Kontraste sein. Sie verlieren sonst den Maßstab zu unserem
ganzen optischen Weltbild. Man stelle sich einmal das groteske Bild vor, wenn wir grellweiße Wolken
auf tiefschwarzem Himmel über uns hätten. Es wäre unerträglich und würde alle anderen optischen
Eindrücke abtöten. Oder man denke an ein Orchesterstück, das nur mit einem Kontrast von leisestem
Pianissimo und stärkstem Fortissimo arbeitet. Es wäre nicht nur unerträglich, sondern hätte auch
sehr wenig Ausdrucksmöglichkeiten. Ebenso ist es in der Malerei. Die Tonwerte müssen zweckent¬
sprechend eingesetzt und benutzt werden.
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Bei der Festlegung der Tonwerte ist auch auf das Größenverhältnis von Schrift und Grund Rücksicht
zu nehmen. Die gleiche Flächenausdehnung des hellen und dunklen Tones ist ungünstig. Die Schrift
soll um so kleiner und schwächer werden, je stärker der Tonunterschied ist. (Bilder 112 und 112 a.)
Die Schrift kann dunkel auf hellem Grunde und umgekehrt hell auf dunklem Grunde stehen. Am
Extrem von Schwarz und Weiß wird die unterschiedliche Wirkung besonders sichtbar. Das Weiß hat
mit gewissen Einschränkungen die Eigenschaften eines Lichts. Es ist lichtausstrahlend, da es um so
mehr Lichtstrahlen zurückwirft, je reiner unser
Pigment ist. Das Schwarze nimmt sie in sich auf.
Helle Formen überstrahlen ihre Umgebung und
wirken dadurch größer. Schwarze Formen wer¬
den durch das Überstrahlen ihrer hellen Um¬
gebung optisch kleiner. Unser Bild 113 macht
das deutlich. Beim Betrachten aus etwa 1 m Ent¬
fernung erscheint der weiße Punkt deutlich
größer als der schwarze, obwohl beide von
gleicher Größe sind. Bei den unteren, kleinen
Punkten wird dies nicht so deutlich. Sie sind im
Verhältnis zu der sie umgebenden Fläche zu
klein. Auf große Entfernung neigt der schwarze
Punkt dazu, überstrahlt und der weiße „ver¬
schluckt" zu werden. Die Folgerungen für die
Festlegung der Schriftgrößen im Verhält¬
nis zur Entfernung ergeben sich von selbst.
Die Hauptlehre von Bild 113 ist jedoch,
daß helle Schriften auf dunklem Grunde
verhältnismäßig schwächer zu halten sind.
Der metallische Glanz von Gold- und Silber Schriften auf dunklem Grunde verstärkt diese
Wirkung noch. Sie sind deshalb besonders mager zu halten, sonst wirken sie plump und unschön. Es
scheint unserem Gefühl auch angemessener, wenn kostbares Material in kleinen Flächen dargeboten
wird.
Weiße Zeichen auf schwarzem Grunde sind aktiv, lebhaft und neigen unter Umständen zur Unruhe.
Schwarze Zeichen auf hellem Grunde wirken ruhiger, gesammelter und mehr passiv. Was für Schwarz
und Weiß gesagt ist, gilt abgeschwächt für hell und dunkel überhaupt. Man wird also die Zusammen¬
stellung je nach dem erwünschten Resultat wählen.
Bild 113. Vergleichsbilder der Hell-Dunkel-Wirkung
DAS
DES
PRAKTIKERS
Bild 114. Der Kontrast nach hell und dunkel
Helle und dunkle Schrift
gleichzeitig auf einen Hinter¬
grund von mittlerer Dunkel¬
heit gestellt, ergibt fast nie
ein befriedigendes Bild. Auf
Bild 144 ist dieser Wechsel in
illustrativer Absicht benutzt.
Die Anwendung ist daher in
diesem Falle vertretbar. Es ist
aber schon aus dem Bild er¬
sichtlich, daß entweder nur
die helle oder die dunkle
Schrift zur Geltung kommt.
Bei ganz gleich verteilten Kon¬
trasten entsteht ein unsicheres
Bild, bei dem weder die helle
noch die dunkle Schrift spricht.
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