Eine weitere Abwandlung des Schriftbildes betrifft die Buchstaben- und Zeilenabstände. Diese werden
manchmal auf ein Mindestmaß reduziert. Bei dekorativen Beschriftungen erstrebt man damit einen
teppichartigen Zusammenhang der Schriftfläche. Die Schrifttafeln vergangener Epochen zeigen eine
gleichmäßige Struktur. Die inneren Ausschnitte der Buchstaben, Buchstaben- und Zeilenabstände
sind weitgehend angeglichen. Die einzelnen Buchstaben sind gleichmäßig über die Schriftfläche ver¬
teilt. Das gilt besonders für Monumentalschriften (siehe Bild i). Zur Verdeutlichung schwer lesbarer
Schriften und umfangreicher Texte wurden dann besonders auf Handschriften die Worte und Zeilen
besser getrennt. Die Ausgeglichenheit zwischen Buchstabenausschnitt und -abstand blieb aber meist
erhalten (siehe die Bilder zur Geschichte der Schrift).
DIEWEILICHBIN
MUSS • ICH AUCH
TÄTIG SEIN
Bild i io. Unterdrückung der Buchstaben- und Zeilenabstände als dekoratives Mittel
Durch die Unterdrückung der Buchstaben- und Zeilenabstände wird nun die Betonung auf die Buch¬
stabenausschnitte gelegt. Das kann bei gutgezeichneten Schriften zu einem reizvollen Flächenbild
führen (Bild i io). Da die Buchstabenform hier dem Auge mehr indirekt vermittelt wird, ist die Schrift
schwerer lesbar. In geeigneten Fällen, in denen auf dekorative und Ausdruckswerte gesehen wird,
kann das in Kauf genommen werden. Die Ausführungsart ist für alltägliche und Gebrauchsbeschrif¬
tungen allerdings abzulehnen. Es handelt sich hier um besondere Wirkungen, die nur mit Takt und
besonderem Können aufgesucht werden dürfen.
Bei der Zeichnung ist darauf zu achten, daß zwei nebeneinanderstehende Grundstriche, z. B. von H
und E, dennoch einen gewissen Abstand einhalten müssen. Es entstehen sonst unangenehme Ver¬
dickungen im Schriftbild.
In diesem Zusammenhang soll auch das Tiefstellen der mittleren Querbalken beim F, E, H usw. be¬
sprochen werden, das vor einigen Jahrzehnten in Mode kam und auch heute noch gelegentlich zu
sehen ist. Diese entschieden durchgeführte Tiefstellung kann man gelten lassen, wenn sie an richtiger
Stelle angewendet wird. Sie muß aber in Übereinstimmung mit anderen Buchstabenteilen gebracht
werden. Auf unserem Bild einer französischen Schriftschöpfung schließen auch die Köpfe des P und
R in dieser Höhe ab. In so geschickter Ausformung kann auch diese Abwandlung reizvoll sein
(Bild in).
LES PARFUMS GODET
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Bild ni. Die Verlagerung des Mittelbalkens nach unten
Die Sperrung
Die Buchstaben können so weit auseinandergerückt werden, daß gleichsam jeder für sich steht. Man
spricht dann von einer Sperrung. Der unmittelbare Zusammenhang von Buchstabe zu Buchstabe wird
damit aufgehoben und durch eine rhythmische Wiederholung ersetzt. Es entsteht eine dekorative Wir¬
kung. Die Lesbarkeit ist herabgesetzt.
Die Sperrung nimmt sich nur gut aus, wenn sie in entschiedenem Gegensatz zu den anderen Zeilen
steht. Da die gesperrte Zeile von der Wiederholung gleicher Maßeinheiten lebt, eignet sich am besten
eine Schrift mit möglichst gleichen Buchstabenbreiten und von schlanker Proportion. Die ideale Schrift
hierfür ist demnach die Steile Block, deren Buchstaben fast sämtlich in eine gleiche Grundform einge¬
fügt sind. Die klassische Kapitalschrift eignet sich wegen ihrer sehr unterschiedlichen Buchstaben-
breiten nicht zur Sperrung.
Frakturschriften, auch die Textur, sollten nie gesperrt werden, da ihre Buchstaben verbindende An¬
sätze aufweisen, während die Groteskbuchstaben mehr in sich abgeschlossen sind.
Kleinbuchstaben-Schriften eignen sich nicht für eine Sperrung; diese bleibt vielmehr den Großbuch¬
staben-Schriften vorbehalten.
Der Setzer hebt mit der Sperrung im laufenden Text wichtige Satzteile hervor. Wir sperren dagegen
meist Textzusätze aus, die wohl vorhanden sein müssen, aber werbemäßig gesehen zurücktreten
können. Sie werden durch die Sperrung dekorativ aufgelöst. Gesperrte Zeilen, auch „Perlzeilen"
genannt, bringen Auflockerung und Abwechslung ins Schriftbild. Richtig angewendet, können sie von
vorzüglicher Wirkung sein.
Bei einer Sperrung werden alle Ligaturen, wie eh, ck, tz, ss und ff getrennt. Eine Ausnahme macht
das ß, das nicht als Ligatur, sondern als ein Buchstabe gilt. Bei Frakturschriften werden außerdem
ch, ck und tz nicht getrennt.
Die rechnerische Einteilung gesperrter Schriften geht zunächst von den normalen Buchstaben-, und
Wortabständen aus. Der notwendige Ausgleich wegen der ungleichen Außenform der Buchstaben ist
innerhalb dieses normalen Abstandes durchzuführen. Der für die Sperrung zur Verfügung stehende
Raum ist durch die Anzahl der Abstände zu teilen. Den schon ausgeglichenen Buchstabenabständen
werden dann für die Sperrung gleiche Maße zugefügt.
Die Wortabstände sollen zwar den Rhythmus der gesperrten Zeile möglichst wenig unterbrechen,
müssen aber dennoch der Lesbarkeit genügen. Sie sind deshalb besonders bei starker Sperrung noch¬
mals auf ihre zweckmäßige Abmessung hin zu überprüfen.
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