Das Verhältnis der Buchstaben untereinander verändert sich auch dann nicht, wenn statt des Quadra¬
tes ein stehendes Rechteck zugrunde gelegt wird (Schema i). Aus dem Kreis wird dann ein Oval. Auch
alle anderen Rundungen sind dann aus dem Oval zu formen.
Schema e zeigt die Bildung der Steilform. Alle Rundungen, die hier flacher als bei den runden Buch¬
staben gehalten werden, gehen in senkrechter Richtung in die Gerade über. Die Mehrzahl aller Buch¬
staben erhält die gleiche Breite. A und V sind aus optischen Gründen eine Kleinigkeit breiter zu
halten. E, F und L nehmen nur die halbe Breite des Rechtecks ein. Die Breite des M, das hier mit senk¬
rechten Balken zu bilden ist, wird durch die Breite des V bestimmt. Nur das W füllt das Grundrecht¬
eck voll aus. Die Buchstaben büßen in der Steilform an Individualität ein, sie sind soweit wie mög¬
lich einander angeglichen.
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non non non
Bild 27. Das Verhältnis von n und о
Zum linken Bild: Eine Seite gerundet bei der Fraktur. — Zum Mittelbild : Beide Seiten gerundet bei der Blockschrift, An¬
tiqua, Schwabacher und Unziale. — Zum rechten Bild: Beide Seiten gerade bei der Textur und der steilen Blockschrift.
non
Bild 28. Gegenbeispiel, der Mittelschrift DIN 1451 entnommen. Das о wirkt kleiner als das n. Diesen Buchstaben liegt ein
fehlerhaftes Schema zugrunde. Zu vorliegender n-Proportion würde ein kreisförmiges о gehören. Im Streben nach gleichem
Breitenmaß und gleichen Konstruktionsteilen wurde das о aus 2 Halbkreisen mit kurzer gerader Verbindung geformt.
Das о hat also nur zu einem Fünftel seiner Höhe die gleiche Breite wie dasn. Es muß daher auf Grund optischer Gesetze
kleiner wirken. Dasselbe trifft auf den Innenraum des Buchstabens zu. Die unklare Einstellung zu den Konstruktionsgrund¬
lagen führte im ganzen Alphabet zu einem unmöglichen Zwitter von Rund- und Steilschrift.
Bei den Kleinbuchstaben besteht eme entsprechende Gesetzmäßigkeit. Hier bestimmmen n und о das
Schriftbild. Die Buchstaben gleichen einander mehr als in der Großbuchstabenschrift. Zur Unter¬
scheidung tragen die Ober- und Unterlängen bei. Die meisten Buchstaben schließen sich an die
Grundform des n oder о an. Nur m und w gehen in der Breite etwas über das Grundquadrat hin¬
aus. Sie werden in sich etwas enger gestaltet als n und v. In Bild 27 zeigen wir das Verhältnis von
n und о in den verschiedenen Schriftarten. Beide Buchstaben erscheinen in jedem Fall gleichwertig.
Das hier wiedergegebene Schema der Buchstaben gibt uns nur Klarheit über die Grundzüge ihres
Aufbaues. Gewisse Variationen sind möglich. Vor allem aber bedarf dieses Skelett noch des optischen
und statischen Ausgleiches, ehe der Buchstabe durch entsprechende Verstärkung gebildet werden
kann (näheres in den Abschnitten „Statik und Dynamik im Buchstaben" und „Der optische Aus¬
gleich"). Bei den Übungen im kleineren Maßstabe wird der Ausgleich meist schon gefühlsmäßig vor¬
genommen. Ständige Beobachtung beim Schreiben entwickelt und verbessert das Formgefühl auch in
dieser Richtung.
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Die Redis-Grotesk
{Tafel 1 und г)
Die Groteskschrift wird in ihrer mageren Form auch als Skelett- oder Steinschrift bezeichnet. Die
fettere Grotesk nennt man gewöhnlich Blockschrift. Sie ist eine Gleichzugschrift, d. h., alle Balken sind
gleich dick. Zur Erlernung der Buchstabenform schreiben wir sie zunächst mit der Redisfeder. Ihre
Balkenenden erhalten dadurch eine Abrundung. In dieser Form spricht man auch von Schnurschrift.
Sie kann auch mit einem halblangen, runden Pinsel geschrieben werden. Im größeren Maßstabe
befriedigen uns diese runden Balkenenden nicht. Die Grotesk wird dann mit einem abgestumpften
Pinsel, der scharfe Ecken hergibt, „voll" geschrieben.
Wir üben mit der Redisfeder, wie schon beschrieben. Es ist auf die kreisrunden Grundformen zu achten.
Die Kleinbuchstaben der Tafel 3 nehmen in der Höhe 2/s der Großbuchstaben ein. Die Zahlen
erhalten bei der Anwendung des gemischten Alphabets eine Höhe, die zwischen den Groß- und Klein¬
buchstaben liegt. Beim Schreiben von a, d, g und q setze man zuerst einen vollen Kreis hin, dem dann
die Senkrechten angefügt werden, beim b und p in umgekehrter Reihenfolge. Auch alle anderen
Rundungen, z. B. beim n, f und ß, sollen Kreisteile sein.
Das Anwendungsbeispiel bringt zwei Variationen von Buchstaben. Das u ist hier einfacher geformt.
Diese knappe Form ist reizvoll und wird deshalb heute viel angewendet. Beim r ist der Bogen durch
einen Punkt ersetzt. Das kleine r ist ja ein verkürztes und verkümmertes großes R. Seine Form
will nie recht befriedigen. Es wurden deshalb im Laufe der Zeit verschiedene Versuche zu einer Umge¬
staltung gemacht. Der Ersatz des Bogens durch einen Punkt ist eine befriedigende Lösung. Er muß
aber ganz dicht an die Senkrechte gesetzt werden. Der Durchmesser aller Punkte muß etwas größer
sein als die Balkenbreite. Dies wird erreicht, indem man die Feder etwas „kreiselt".
Freie Schnurschrifl
(Tafel 3)
Auch diese Schrift kann mit der Redisfeder geschrieben werden. Für größere Formate verwendet man
einen möglichst rund geformten Pinsel. Diese Schrift ist vom Handschriftlichen her beeinflußt. Sie
läßt sich daher sehr zügig schreiben und wird manchem Anfänger leichter fallen als die strenge Block¬
schrift. Trotz aller Bewegtheit der Einzelformen ist ein ruhiges Gesamtbild zu erstreben. Je länger
der Text ist, um so gebändigter muß die Schrift sein. Sie ist sehr geeignet für schnelle Gelegenheits¬
beschriftungen. Als Überschrift oder Schlagzeile für einen Text in strengerer Schriftart wird sie ein
guter Blickfang sein. Sehr gut lassen sich aus dieser Schrift auch Namenszüge bilden, die sogar plastisch
oder in Neonschrift ausgeführt werden können. Für diese Zwecke muß der Schriftzug aber sehr sorg¬
fältig ausgewogen und durchgearbeitet sein. Er muß dann ein Stück Architektur werden. Die Vor¬
entwürfe kann man zweckmäßig mit der Redisfeder durchführen. Der gelungenste. Versuch ist dann
im einzelnen auszufeilen.
Wechselzugschrifl
(.Tafel 4)
Für längere Texte ist diese schnell schreibbare Schrift recht gut geeignet. Trotz ihrer Einfachheit wirkt
sie nicht primitiv. Sie wird mit dem schräg angesetzten Breitpinsel geschrieben. Nach einiger Übung
wird es gelingen, die senkrechten Balken leicht keilförmig zu schreiben. Das gelingt um so leichter,
als der gefüllte Pinsel beim Ansatz die meiste Farbe abgibt.
Gotische Schrift
(Tafel 5)
Die Gotische Schrift, besser mit Textur bezeichnet, war ursprünglich eine Kleinbuchstabenschrift. Wir
üben die Kleinbuchstaben zuerst. Die dazu benutzte Ato-Feder setzt schräg an und bleibt stets
in gleicher Lage. Diese Schrift ist hauptsächlich aus Senkrechten und Schrägen zusammengesetzt. Die
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