FERDINANDI
Bild 14. Bodoni-Schrift, 1775
Stileinfluß des Klassizismus und dem technischen Einfluß des Kupferstiches die neuere Antiqua. Ver¬
feinerte Formen und größtmöglicher Unterschied von Haar- und Druckstrich sind ihre Kennzeichen.
In ihr beginnt aber auch die Entkleidung der Schrift von allen verbindenden Formelementen und
die Rückführung auf ihre reine Sachform.
Die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beginnende Industrialisierung findet ihren formalen
Ausdruck in den Groteskschriften. Hier ist der Bruch mit der Tradition vollkommen durchgeführt.
Von den alten Buchstaben wurde nur das Skelett beibehalten. Nüchtern und sachlich, ist ihre Aus¬
formung nicht mehr organisch, sondern schematisch bestimmt. Ihr ästhetischer Wert entspricht etwa
Berlin-Potsdamer
Eisenbahn
Bild 15. Groteskschrift
Kultur und Technik
Bild 16. Futura
dem der ersten Maschinen, deren Bild Ausdruck ihrer technischen Unvollkommenheit ist. In ihren
neueren Ausprägungen, als deren typischen Vertreter man die „Futura" von Paul Renner bezeichnen
kann, entspricht sie vollkommeneren technischen Formen und nähert sich dabei, seltsamer- oder
bezeichnenderweise, wieder dem Ausgangspunkt unserer Schrift: den schlichten, klaren Schriftzeichen
der Griechen.
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Schriften in freier Technik
Allgemeines
Nach dem vorangegangenen geschichtlichen Überblick wollen wir nun an die Gestaltung der Schrift
herangehen. Mit dem Einfachsten beginnend, wollen wir nach und nach die Vielfalt der Formen
kennen, verstehen und beherrschen lernen. Es erscheint als eine Selbstverständlichkeit, daß Schrift
geschrieben wird. Auf dem weiten Gebiete der Schriftanwendung wird sie jedoch noch auf viele
andere Weisen gestaltet: durch Schneiden, Gravieren, Meißeln, Malen, Schnitzen usw. Diese Arbeits¬
techniken erfordern meist eine sorgfältige zeichnerische Vorbereitung. Dabei müssen alle Form¬
probleme viel bewußter behandelt werden als beim Schreiben, besonders wenn es sich um große
Formate handelt. Das Schreiben aber ist etwas Unmittelbares, es wird dabei gefühlsmäßiger gestaltet.
Es muß jedoch auch hier ein bewußter Formwille mitwirken, wenn sich das Ergebnis den übrigen
Leistungen menschlicher Kultur würdig einfügen soll.
Das eigentliche Schriftschreiben bleibt die Grundlage für das gesamte Schriftschaffen überhaupt. Es
ist das beste Mittel, das überkommene Gut aus den klassischen Zeiten der Schriftgestaltung in uns
aufzunehmen. Wir gewinnen damit einen Qualitätsmaßstab für unser eigenes Bemühen, die Schrift
unserer Zeit zu formen. Vom Schreiben gehen immer wieder Anregungen zur Gestaltung der Schrift
auch in allen anderen Techniken aus. Zudem ist eine verständnisvolle Formung der Schriften, die aus
einer Federschrift entstanden sind, nur dem möglich, der sie schreiben kann.
Im ersten Teil dieses Werkes wollen wir uns mit den unmittelbar, ohne besondere zeichnerische Vor¬
bereitung oder Einteilung geschriebenen Schriften befassen. Sie werden meist einzügig gestaltet.
Der Schildermaler nennt das „vollschreiben", der Dekorationsmaler spricht von „Pinselschriften".
Sie stehen im Gegensatz zu den Schriften, die nach eingehender zeichnerischer Vorbereitung durch
Vorschreiben der Kontur und nachfolgendes Auslegen gestaltet werden. In der Praxis wendet man
sie überall dort an, wo eine unmittelbare Arbeitsweise stilistisch und auch technisch am Platze ist.
Dekorative Wandsprüche und Schriftfriese, Plakate, Stofftransparente usw., auch kleinere Schilder
lassen sich so zeitsparend und in flüssiger Form schreiben. Über Einzelheiten der Pinseltechnik werden
wir noch im Kapitel „Schreibgerät und Schreibtechnik" sprechen.
Vorbereitungen zum Üben
Um sich mit der Schriftform erst einmal vertraut zu machen, greift man am besten zur Feder. Für
den Maler wäre eigentlich der Pinsel das gegebene Werkzeug. Für den Anfang ist jedoch das Üben
mit der Feder bequemer und billiger. Der Maler lernt dabei die Federtechnik beherrschen. Für spätere
Schriftstudien sowie bei der Anfertigung von Skizzen und kleinen Plakaten wird ihm das sehr nütz¬
lich sein.
Geschrieben wird auf möglichst feinkörniges, holzfreies Papier. Für die ersten Übungen zur Block¬
schrift ist ein kariertes Papier mit 5 mm Linienabstand vorteilhaft. Im weiteren Verlaufe soll der
Schreiber das Papier selbst linieren. Er kann dann den Linienabstand der speziellen Schriftart und
der Breite des Schreibgerätes anpassen. Die vorgedruckten Quadrate wirken meist nur störend. Außer¬
dem ist das Linieren in der Praxis des Schriftmalers so wichtig, daß es ausgiebig geübt sein will. Eine
gute Linierung ist die erste Voraussetzung für eine, einwandfreie Arbeit. Wenn diese Vorbereitung
nicht peinlich genau gemacht wurde, kann die weitere Arbeit trotz aller Sorgfalt wertlos sein.
Man kann immer wieder beobachten, daß diese so einfach scheinende Arbeit dem Anfänger große
Schwierigkeiten macht. Die Linierung soll so schön sein, daß sie stehenbleiben könnte, ohne zu
stören. Auf alten Handschriften tragen diese mit großer Sorgfalt gezogenen Linien manchmal wesent¬
lich zum Gesamteindruck bei.