182. Gotische Majuskel, ältere Inschriftenform, 12.-14. Jahrhundert.
GOTISCHE UNZIALE
ten, zum Teil bereits gotischen Charakter, der diese Schriften einer als romanisch-go¬
tische gemischte Majuskel bezeichneten Gruppe zuordnet. Im Alphabet einer solchen
Schrift (Abb. 181) stellen wir beispielsweise schon beim A eine von der romanischen
gemischten Majuskel abweichende Schriftzeichnung fest: alle drei Formen zeigen die
oberen Serifen bis zu den Grenzen des Schriftbildes verbreitert. Unterhalb dieser
Querbalken-Serifen sieht man sodann die den gewohnten Winkel einschließenden
Schenkel, die ein horizontaler oder nach unten geknickter mittlerer Querstrich ver¬
bindet. In der dritten Variante hat dieser Buchstabe jedoch eine neue, für das gotische
Schriftschaffen besonders bezeichnende Form mit senkrechtem rechtem Schaft unter
dem rechten Endstück des oberen Querstrichs, von dessen Mitte eine gewellte Linie
Ausgang nimmt, um den ursprünglichen linken Schrägbalken dieses Buchstabens zu
ersetzen. Neu ist hier auch die Unzialform des H und vor allem des M, ein besonders
typisches Merkmal der älteren Form der gotischen Majuskel. Die übrigen Buchstaben
des Alphabets dieser Majuskel haben sich in Formen erhalten, die uns bereits aus der
gemischten romanischen Majuskel bekannt sind ; so überwiegt hier außer bei der Spiral¬
zeichnung des G und der fakultativen Unzialform des E bisher mehr oder weniger
der ungefähre Charakter der römischen Monumentalschrift. Die graphische Gesamt¬
ausführung der solchermaßen konzipierten Inschriften läßt manchmal auch im 13. Jahr¬
hundert noch einen gewissen Einfluß des altrömischen Schriftschaffens erkennen, wie
z. B. die in Rom befindliche lateinische Inschrift des Papstes Alexander IV. aus dem
Jahre 1256 (Tafel LXVIIa).
Doch schon im 12. Jahrhundert ging die Gotisierung der lateinischen Majuskel bei
gewissen Inschriften viel weiter und erfaßte nahezu alle Buchstaben des Alphabets.
Bemerkenswert ist jedoch hierbei, daß diese formale Wandlung keineswegs von den
technischen Voraussetzungen einer graphischen Behandlung der Inschriften in Stein
und anderen beständigen Materialien Ausgang nahm, sondern im Gegenteil in diesen
Bereich des Schriftschaffens Formen der Schreibpraxis hineingetragen wurden. Darum
stellt diese ältere Form der gotischen Inschriftenmajuskel mit der Zusammensetzung ihres
Alphabets (Abb. 182) auch mehr eine Majuskel-Buchschrift bzw. Unziale (eine go¬
tische Unziale) dar, eine in einer fremden Schreibtechnik mühevoll reproduzierte Schrift.
Die Unzialformen haben hier bereits das absolute Übergewicht, und zu ihnen gesellen
sich sogar einige ursprüngliche Minuskelformen wie beim N, U und T. Neu gegenüber
der vorgenannten romanisch-gotischen gemischten Majuskel ist hier die Konstruktion
des C, dessen zuvor offener Bogen nunmehr durch eine leicht nach innen gekrümmte
Verbindungslinie zwischen den beiden Serifen geschlossen wurde. Gleicherweise ge¬
schlossen ist die Unzialform des E, und beide Querstriche des F verbindet ein tief
nach unten ragender senkrechter und leicht gebogener Strich. Das A ist nur noch mit
der dritten Variante der romanisch-gotischen Majuskel vertreten, aber der obere Quer¬
strich verläuft manchmal ziemlich schräg. Stets in Unzialform kommt das D und das
H vor, desgleichen das M mit nach außen gebogenen Enden seiner äußeren Striche.
Ähnlich wird das N gestaltet, dessen Minuskelform eigentlich die Hälfte des vorge¬
nannten Buchstabens darstellt. Das T ist bislang noch in seiner ursprünglichen Monu¬
mentalform vertreten, wenngleich mit sehr tief hinuntergezogenen keilförmigen Se¬
rifen des Querbalkens. Gleichzeitig kommt dieser Buchstabe jedoch in einer neuen,
ursprünglich kursiven Form vor, bei der der Schaft sich zu einem Bogen oder einer
Spirale krümmt, was für die ältere Form der gotischen Majuskel besonders charakte-
ЗЗІ