JAN TSCHICHOLD: Filmplakat 1927
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FERNAND LEGER:
Das Auge, das majorenne Organ m it den tausend Verantwortlichkeiten, regiert
das Individuum mehr als Jemals. Es registriert von Morgen bis Abend unauf¬
hörlich. Die Schnelligkeit 1st das Gesetz der modernen Welt. Andererseits ist
die. kommerzielle Angespanntheit so weit gediehen, daß eine Mannequin-
Schau bei einem Schneider von Ruf als Schauwert den einer ganzen Anzahl
mittlererTheatererreichthat.wennnichtübertrifft. Dementsprechend müssen
auf derStraße die Plakate dieValeurs der Bilderausstellungen übertreffen.Wor-
aus sich die Notwendigkeit ergibt, die Straße als Schauspiel zu organisieren.
Die Straße ist allzu dynamisch, sie ¡st reißend und nervenaufreibend. Unser so
angespanntes,so bebendesGegenwartsleben brauchte ruhigere,geordnetere
Straßen, an denen sich die Nerven ausruhen könnten, anstatt sich zu erre¬
gen. Das Plakat sollte darum nicht als ein Jazz aufgefaßt werden, sondern
als ein Orchesterstück.
ROBERT DELAUNAY:
Das Plakat 1st Farbe oder es ¡st nicht. Die Form ist im wesentlichen nichts
als Dimension der Farbe. Vom physischen Standpunkt aus ist also das beste
Plakat dasjenige, das man am meisten und aus der weitesten Ferne sieht,
wie ein Eisenbahnsignal. Wie kommt man zu dem besten Resultat? Indem
man sich einzig und allein um den Rhythmus und die Beziehung der Farben
zueinander kümmert. Alles übrige kommt nicht in Frage. Wir dürfen also nicht
mehr die Farben auf gut Glück anordnen, auf eine intuitive Art, um etwas
„Hübsches" oder „Schönes" zu machen. Sondern wir müssen wissenschaft¬
lich verfahren, um siewieTöne vibrieren zu lassen. Und wir müssen von dem
Grundsatz ausgehen, daß das Plakat nicht eine Augenverführung ¡st, sondern
ein Anruf oder eine Benachrichtigung. Man muß es als solches behandeln.
Nicht mehr versuchen, eine mehr oder weniger verlockende Gegenstands¬
nachbildung daraus zu machen, sondern von ¡hm verlangen und erreichen,
daß es uns durch mehr oder weniger intensiv vibrierende Impressionen in
seinen Bann schlägt.
Plakatformate
Die genormten Plakatgrößen sind am Beginn des vorigen Aufsatzes „Das
Typoplakat" verzeichnet.
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