Es ist eigentlich erstaunlich, daß die Filmgesellschaften sich bisher noch
fast gar nicht der Photographie für ihre Plakate bedienen. Die wenigen Aus¬
nahmen, die mir bekanntgeworden sind, sind Tiefdruckplakate mit einer
einzigen großen Photographie im Format 84x120 cm, bei denen aber eine
künstlerische Form auch nicht im entferntesten angestrebt war. Dabei liegt
es doch so nahe, gerade für Filmplakate die Photographie als Wirkungs¬
mittel heranzuziehen. Auf den Filmplakaten, die ich 1927 für den Münchener
Phoebus-Palastzu gestalten das Glück hatte, konnte Ich infolge verschiedener
Umstände nur einen verschwindenden Bruchteil der vorhandenen Möglich¬
keiten der Komposition und der Technik ausbauen. Der Herstellungspreis
dieser Plakate, die lediglich für ein einziges Theater hergestellt wurden,
durfte eine sehr niedrige Grenze nicht überschreiten. Infolgedessen konnte
ich nicht frei über Größe und Menge der Photos verfügen. Die Plakate ent¬
standen von Woche zu Woche und mußten gewöhnlich innerhalb von 2 bis
4 Tagen hergestellt werden (= Entwurf -f- zwei- bis dreifarbige Druckaus¬
führung I), da die Filmtitel infolge der beim Film üblichen Verhältnisse meist
erst 4-2 Tage vor dem Start gegeben werden konnten. Es liegt auf der
Hand, daß unter solchen Verhältnissen nur selten das äußerste an Wirkungs¬
möglichkeiten herauszuholen war. Trotzdem glaube ich, daß die Phoebus-
Piakate die ersten praktischen Versuche wirklicher Filmplakate sind. Sehr
interessante Entwürfe zu Filmplakaten hat auch L. Moholy-Nagy geschaffen.
In hohem Maße wird auch die fortschreitende Entwicklung der photomecha¬
nischen und Drucktechniken die Gestaltung des Plakats beeinflussen.*
Trotz den zahlreichen Möglichkeiten des Photoplakats wird wohl kaum das
gezeichnete Plakat ganz verschwinden. Nachdem dieÖlmaler der Vorkriegs¬
zeit abgewirtschaftet haben und sich heute, sofern sie noch einen Namen von
früherherbesitzen, in ihren klischeemäßigen Entwürfen ständig wiederholen,
wie etwa Hohlwein, tritt heute allgemein die Tendenz zur Exaktheit und Geo-
metrizität (im Gegensatz zur Pinselmalerei der früheren Führer) zutage. Der
Sinn für reine Maße und Verhältnisse ist neu erstanden. Typisch für dieses
neue Plakat ¡st der Franzose A. M. Cassandre, der einige hervorragende
gezeichnete Plakate geschaffen hat, die ganz vom Geiste unserer Zeit erfüllt
sind und bereits als klassische Leistungen gelten können.
Ich lasse hier noch die Äußerungen von zwei französischen Malern über das
Plakat fol gen, die ich der Monatsschrift „Querschnitt" entnommen habe. Beide
gehören zu den Begründern des Kubismus. Fernand Léger ist, soweit heute
die Bezeichnung „Kubismus" noch anwendbar ist, sein bedeutendster Vertreter.
• Daß es vom Standpunkte der Gegenwart aus ein Anachronismus ist, Plakate wie mittelalterliche Holz¬
schnitte in Linol zu schneiden, brauche ich wohl nicht erst besonders darzulegen.
190
JAN TSCHICHOLD: Filmplakat 1927. Die untere Haltte hellblau, „Casanova" rct, zum
Teil über das Blau gedruckt. Das Bild und die übrige Schrift braunviolett.
191