gefärbten und aller undeutlichen, well zu stark künstlerischen Formen
kommen. Die gleiche Forderung nach sachlichster, wenngleich intensivster
Form ergibt sich aus der ungeheuren Anzahl von Inschriften und Affichen,
wie sie die moderne Großstadt zeigt. Wenn hier eine Aufschrift oder ein
Plakat undeutlich ist, kommt es fraglos um seine Wirkung.
Als Schrift kommt daher im allgemeinen eine Grotesk von klarster Prägung
(die objektive Schriftform) in Frage. Stärker und schneller als die Schrift
wirkt das Bild, und auch hier hat nur die objektivste Darstellung Aussicht,
den Vorbeieilenden den Inhalt schnell und eindeutig zu vermitteln. Darum
liegen in der weitgehenden Verwendung der Photographie für die Gestaltung
von Plakaten große Möglichkeiten, die allerdings, soweit es sich um größere
Plakate handelt, bisher nur wenig ausgebaut werden konnten, weil einerseits
die Photo-Reproduktionstechnik noch nicht in das entsprechende Stadium
getreten ¡st (bis heute kann meines Wissens nur eine einzige Berliner Firma
Plakate ¡m Format 84x120 cm im Rotationstiefdruck herstellen), und weil
anderseits die Kosten der Rasteraufnahme vorläufig noch ziemlich hoch
sind, was freilich nur bei kleinen Auflagen ins Gewicht fällt.
Hemmender als beides ist ein blinder Kampf, mindestens eine feindliche
Einstellung vieler Künstler gegen die Photographie, die kaum anders als
mit Phantasielosigkeit erklärt werden kann. Das Publikum hält natürlich das
in den mehr oder weniger schlechten Zeitschriften über Reklame und Zweck¬
graphik veröffentlichte Material, das oft reichlich zu wünschen übrigläßt,
für das beste und bildet sich davon seine Meinung. Es ¡st im übrigen ein
fundamentaler Irrtum der meisten Künstler, daß die Verwendung der Photo¬
graphie den Künstler überflüssig mache. Von so Denkenden wird man an¬
nehmen müssen, daß sie ihr Künstlertum in der Technik des Malens oder
Zeichnens beschlossen sehen. Selbst eine gute Photographie gibt noch
keineswegs eine Gewähr für ein gutes Photoplakat, und wiederum lassen
sich auch mit durchschnittlichen Photos oft gute Plakate gestalten. Immer
ist es aber doch die bildnerische Kraft, die den Ausschlag gibt.
Die suggestive Kraft, die dem Photoplakat den Vorrang gibt vor so vielen
der anders gearteten Plakate, beruht In dem außerordentlichen Kontrast
des reich nuancierten „plastischen" Grau der Photographie zu einer Farb¬
fläche (auch z. B. des reinen Weiß), der eben nur bei Verwendung von
Photos entsteht. Ein so differenziertes Ausdrucksmittel stellt, entgegen der
landläufigen Meinung, an das Können mindestens ebensolche, wenn nicht
höhere Forderungen wie die früheren Ausdrucksmittel der Malerei und
Zeichnung. Jedenfalls ist ein sehr hochentwickeltes Gefühl für Harmonie und
Proportionen notwendig, wenn Plakate oder sonstige Reklamedrucksachen
mit diesem zeitgemäßen Mittel gestaltet werden sollen.
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JAN TSCHICHOLD: Filmplakat. 1927. Farben des Originals: Dunkelbraun und grau.
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