DAS NEUE WELTBILD
Dem Tempo der umwälzenden technischen Erfindungen des ausgehenden
19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts sind nur langsam das Anpassungs¬
vermögen und die Fähigkeit des Menschen gefolgt, sich die neuen Gegeben¬
heiten zunutze zu machen und aus ihnen eine neue Lebensform zu ent¬
wickeln. Die „Zivilisation" und die überschnelle Durchdringung aller Gesell¬
schaftsschichten mit den Ergebnissen der technischen Erfindungen haben
zu einem völligen kulturellen Chaos geführt, dessen Ursache in der man¬
gelnden Fähigkeit der betroffenen Generation liegt, aus den neuenTatsachen
Folgerungen für die allgemeine Lebensführung zu ziehen.
Die neue Generation, die diesem Zustand gegen übertritt, ist frei von den
Vorurteilen dem Neuen gegenüber, wie sie die frühere Generation be¬
herrschten. Die technische Vervollkommnung aller wie auch gearteten
Vehikel des Menschen findet die absolute Bejahung der jungen Generation
und hat in ihr eine der früheren entgegengesetzte ganz neue Einstellung
zur Umwelt hervorgebracht.
Die Gegenstände der heute im Zenit befindlichen Generation leiden unter
dem fatalen Kompromiß zwischen einer angenommenen „künstlerischen"
Absicht und den technischen Notwendigkeiten und Bindungen; an dem un¬
selbständigen Zurückblicken auf historische Parallelfäile; dem Zwiespalt
zwischen Wesen und Erscheinung. Statt die eigenen Gesetzmäßigkelten der
Maschinenproduktion zu erkennen und zu gestalten, begnügte sich diese
Zeit mit der ängstlichen Nachfolge einer übrigens nur eingebildeten„Tradition",
Ihr stehen heute jene Werke gegenüber, die, unbelastet du-TG-b Ver^a-tvg-efl-
heit, primäre Erscheinungen, das Antlitz unserer Zeit bestimmt haben:
Auto Flugzeug Telephon Radio Warenhaus Lichtreklame New-Yorkl Diese
ohne Rücksicht auf ästhetische Vorurteile gestalteten Dinge sind von einem
neuen Menschentyp geschaffen worden: dem Ingenieur!
Dieser Ingenieur ¡st der Gestalter unseres Zeitalters. Kennzeichen seiner
Werke: Ökonomie, Präzision, Bildung aus reinen, konstruktiven Formen, die
der Funktion des Gegenstands entsprechen. Nichts, das bezeichnender für
unsere Zeit wäre, als diese Zeugen des Erfindergeistes der Ingenieure, seien
es Einzelleistungen: Flugplatz, Fabrikhalle, Triebwagen der Untergrund;
seien es Standardformen: Schreibmaschine, Glühbirne oder Motorrad. An
ihnen hat sich eine neue — unsere — Einstellung zur Umwelt entwickelt
und gestählt. Eine ungeheure Bereicherung des Lebensgefühls ¡st von diesen
uns auf Schritt und Tritt begegnenden technischen Tatsachen ausgegangen.
Das Ganze, das Kollektiv, bestimmt schon heute in hohem Maße die mate¬
riellen Lebensformen jedes einzelnen: gleichgeartete Grundbedürfnisse
des Individuums werden von Standarderzeugnissen befriedigt: Glühbirne,
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