Man darf sagen, daß das Typophoto eins der bezeichnendsten graphischen
Ausdrucksmittel der heutigen Typographie und Reklame ist. Nur eines ge-
ringenZeitraumswird es bedürfen, bis sich auch die noch teilweise stark von
hierganz unberechtigten „tradltionellen"Auffassungen beeinflußten populären
Formen desTypophotos (vor allem die illustrierten Zeitungen und ein Teil der
Reklame) von diesen befreien und durch eine bewußte, konsequente zeitge¬
mäße Gestaltung das kulturelle Niveau der Gegenwart erreichen.
Die großen Möglichkeiten der Photographie selbst sind bisher, von dem
engen Kreise wenigerFachleute abgesehen, noch kaum erkannt, geschweige
denn erschöpft worden. Es ist aber kein Zweifel, daß die graphische Kultur
der Zukunft sich des Photos in noch weit höherem Maße als die Gegenwart
bedienen wird. Die Photographie wird für unserZeitalter so symptomatisch
sein wie für die Gotik der Holzschnitt. Hieraus ergibt sich für alle graphi¬
schen Berufedle Notwendigkeit, schon heute die Techniken der Photographie
und der Reproduktion soweit als möglich schöpferisch auszubauen und sie
rechtzeitig auf die höheren Anforderungen einer nahenZukunft vorzubereiten.
SASCHASTONE:
Inserat (Photomontage)
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NEUE TYPOGRAPHIE UND NORMUNG
Die neue Typographie, bestrebt, den gegenüber früher veränderten Bedürf¬
nissen unserer Zeit zu genügen und über sie hinaus jede einzelne Druck¬
sache im Sinne der Gegenwart maximal vollkommen zu machen, hat von
je allen Normungsversuchen das größte Interesse entgegengebracht und
sich von Anfang zu ihnen bekannt. Auch die Normung, gleichviel aufweichen
Gebieten, erwuchs ja aus Notwendigkelten, die unsere Zeit hervorgebracht
hat, und versucht sie zu lösen.
Die Anwendung der buchgewerblichen Normen stellt darum eine integrierende
NotwendigkeitdermodernenTypographiedar; denn wirvermögen heute eine
Drucksache nicht mehr vollkommen zu nennen, die sich dieser hervor¬
ragenden Mittel zur Organisation der buchgewerblichen Produktion (die
eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist) begibt.
Vor allem war es das Gebiet des Formats, wo sich schon seit langem
Mängel bemerkbar gemacht hatten. Die vorzugsweise ästhetischen Rück¬
sichten, die in früheren Zeiten für die Formatwahl bestimmend gewesen
waren, mußten mit Notwendigkeit aufgegeben oder doch von einem höheren
Standpunkte aus einer Revision unterzogen werden, als die Drucksachen¬
produktion im neunzehnten und vor allem im zwanzigsten Jahrhundert
infolge des großen Bedarfs und der Vervollkommnung der Druckverfahren
einen so großen Umfang angenommen hatte. Bis dahin hatte die Ordnung
der Schriftstücke nur eine untergeordnete Rolle gespielt, denn ihre Zahl
war längst nicht so groß wie heute. Die einzelnen Urkunden und Schrift¬
stücke wurden individuell erzeugt; die Vollendung, die man ihnen angedeihen
ließ, macht sie in unseren Augen oft zu Kunstwerken ihrer Zeit. Der per¬
sönliche Geschmack des Schreibers und der Zufall waren für das Format
des Geschriebenen entscheidend. Die Papierbogen wurden einzeln mit der
Hand in beliebigen Formaten hergestellt, ganz zu schweigen vom Perga¬
ment, wo das zufällige Hautstück nach Möglichkeit ganz ausgenutzt wurde
und der Zuschnitt ganz regellos war.
Der chaotische Zustand, der sich so entwickeln mußte, wurde von weit¬
blickenden Geistern schon früh erkannt. Wir kennen Vorschläge des
Deutschen Lichtenberg bereits aus dem Jahre 1796, ihn durch eine Ordnung
der Formate zu beseitigen. Lichtenberg stellte das grundlegende Gesetz auf,
daß die Formate durch fortgesetztes Hälfteln des Ausgangsformats ent¬
stehen müßten,
Bereits in den ersten Jahren der Französischen Revolution sollte den von
ihm gefundenen Gesetz die Anerkennung zuteil werden; denn die damalige
französische Regierung erließ ein Gesetz über die Formate von Urkunden
und Stempelpapieren, das auf ihnen fußte, d. h„ mathematisch gesprochen,
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