Auch das Photogramm kann in der Reklame verwandt werden. Als erster
hat El Lissitzky 1924 Reklamephotogramme geschaffen. Eine ganz ausge¬
zeichnete Arbeit von ihm ist das Photogramm für „Pelikan-Tinte". Selbst
die Schrift ist auf mechanisch-photographischem Wege hergestellt* Die
technischen Herstellungsmethoden des Photogramms sind zwarsehr einfach,
aberzu vielfältig, als daß sie in wenigen Worten beschrieben werden könnten.
Jeder, der sich eine solche Aufgabe stellt, wird durch Versuche selbst die
Wege zur Erreichung der Wirkung finden. Da man nur lichtempfindliches
Papier und allenfalls eine Dunkelkammer braucht, kann sich jeder auf
diesem Gebiete versuchen. Es sei bei dieser Gelegenheit auf das Buch
„Malerei, Photographie, Film" von L. Moholy-Nagy hingewiesen, das über
diese Dinge ausführlich und sehr instruktiv berichtet.
DerTypograph nun, dem photographische Klischees zur Eingliederung in
den bestellten Satz übergeben werden, wird vor allem vor die Frage gestellt,
welche Schrift er in solchem Falle zu wählen habe. Die Künstlergeneration
der Vorkriegszeit, die, wie ich schon oben beschrieb, der Photographie
ablehnend gegenüberstand, hat die Lösung dieses Problems zwar versucht,
sie aber nicht finden können, weil sie von vornherein alle Zusammenstel¬
lungen von Schrift und Photo als Kompromiß empfand.
Wir Heutigen haben das Photo als ein wesentliches typographisches Mittel
der Gegenwart anerkannt. Wir empfinden sein Hinzutreten zu den früheren
Ausdrucksmitteln des Buchdrucks als Bereicherung und erblicken in der
Photographie geradezu das Merkmal, das unsere Typographie von aller
früheren unterscheidet. Die bloß flächige Typographie gehört der Ver¬
gangenheit an. Durch das Hinzutreten des Photoklischees haben wir uns
des Raums und seiner Dynamik bemächtigt. Gerade auf dem Kontrast
zwischen den scheinbar dreidimensionalen Gebilden der Photos und den
flächigen Formen der Schrift beruht die starke Wirkung der Typographie
der Gegenwart.
Die Hauptfrage, welche Schrift man zum Photo wählen müsse, hat man
früher auf die merkwürdigste Weise zu lösen versucht; vor allem durch
Verwendung grauwirkender oder manchmal wirklich grauerSchriften, durch
sehr zarte oder stark individualistische Typen und dergleichen mehr. Wie
auf allen anderen Gebieten, ging man auch hier auf eine nur äußerliche
Angleichung der Aufbauteile, also auf Nivellierung aus. So entstand höch-
• Nur ein oberflächlicher Betrachter kann zu der Entgegnung «erführt sein, die Anwendung der „Antiqua¬
form" der Schrift dieses Photogramms sei nicht konsequent. Denn das Bestreben, mit elementaren Mitteln
zu gestalten, führte auch hier mit Notwendigkeit zur Verwendung einer nicht-manuell erzeugten Standard¬
schrift - einer Schablonenschrift, die darum Antiquaform zeigt, weil G rotesk-Schablonenschriften Im
Handel noch nicht zu haben sind.
94
EL LISSITZKY 1924: Reklamephotogramm (Inserat)
stens ein einheitliches Grau, das aber über den Kompromiß nur schlecht
hinwegtäuschte.
Die unbefangene, konsequent zeitgemäße Neue Typographie hat mit einem
Schlage die Lösung herbeigeführt. Indem sie bei ihrer Absicht, aus elemen¬
taren zeitgemäßen Formen eine künstlerische Einheit zu bilden, eigentlich
überhaupt keine SchriftFrage kennt (sie mußte mit Notwendigkeit die Grotesk
wählen) und sie das Photoklischee als ein ebenfalls elementares Da.r-
stellungsmittel vorzugsweise verwendet, gelangt sie zu der Synthese: Pho¬
tographie -j- Grotesk I
Bei erstem Zusehen scheint es, als ob die Härte der klaren, eindeutigen
schwarzen Schriftformen dieser Tvpe mit den oft sehr weichen Grautönen
95