alle Ölmalereien, Kunst. Aber das, was Heartfield (der die Photomontage
erfand), Baumeister, Burchartz, Max Ernst, Lissitzky, Moholy-Nagy, Vordem-
berghe-Gildewart auf diesem Gebiete geschaffen haben, verdient diesen
Namen zweifellos. Das sind keine willkürlichen Zusammenstellungen mehr,
sondern folgerichtig und harmonisch aufgebaute Bilder. Die zunächst zu¬
fällige Form des Einzel photos (Grautöne, Strukturwirkung, Li ni en beweg ungen)
erhält künstlerischen Sinn durch die Komposition des Ganzen. Von der
alten Kunst unterscheidet sich die Photomontage durch das Fehlen des
Objekts. Sie ist nicht wie jene Beurteilung einesTatbestandes, sondern Ver¬
wirklichung einer freien Phantasie, also eine in Wahrheit freie menschliche
Schöpfung, die von der Natur unabhängig ist. Die „Logik" einer solchen
Gestaltung ist die irrationale des Kunstwerks. Zu ganz übernatürlicher
MAX BURCHARTZ:
Umschlagmappe für Pro¬
spekte. Grund silbern,
weiBe Schritt auf rotem
Feld. Photomontage: Ab¬
bildungen charakteristi¬
scher Erzeugnisse der
Hauptabteilungen
des Bochumer Vereins.
Format DIN A4.
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Wirkung gelangt die Photomontage durch den bewußten Kontrast des pla¬
stischen Photos zur toten weißen oder farbigen Fläche. Dieser unerhörte
Eindruck kann mit keiner Zeichnung oder Malerei erreicht werden. Die
Möglichkeiten stark kontrastierender Größen und Formen, des Kontrastes
von Objekten von großer Nähe und weiter Ferne,flächigerer und plastischerer
Form usw. tun das ihre, diese Kunstform außerordentlich variabel zu machen.
In ihr liegen die weitesten Möglichkeiten auch für die zweckgebundene
Reklame. Hier ist es naturgemäß nur vereinzelt möglich, durch Ausgleich
aller Teile mit dem Ergebnis des freien Gleichgewichts ein „Kunstwerk" zu
schaffen, da die Bindungen durch den notwendigen logischen Zusammen¬
hang, die logische Größenordnung, die gegebeneSchrift usf. stark hemmend
wirken können. Es ist im übrigen auch.nicht so sehr Aufgabe des reklame¬
schaffenden Künstlers, freie Kunstwerke, sondern beste Reklame zu gestalten.
Beides kann, muß aber nicht zusammenfallen. Mit das Beste auf dem Ge:
biete der Reklame-Photomontage haben John Heartfield in seinen Malik-
Bucheinbänden und Max Burchartz in seinen Reklamegestaltungen für die
Industrie geschaffen.
Wir bringen hierein charakteristisches Beispiel: den Umschlag einer Mappe
"mit Werbeblättern von Burchartz. Die intensive und reiche Wirkung des Origi¬
nals vermag unsere Abbildung leider nur anzudeuten. Weitere Beispiele der
Photomontage sind in den anderen Abschnitten dieses Buchs zerstreut.
Photogramme sind Photos, die ohne Mithilfe des Apparates mittels bloßen
lichtempfindlichen Papiers hergestellt werden. Diese einfache Methode ist
an sich nicht neu, denn man kennt Photogramme zum Beispiel nach Blumen,
die durch einfaches Auflegen des „Objekts" auf das photographische Papier
hergestellt werden, schon seit langem.
Der Erfinder des gestalteten Photogramms, des Photogramms als Kunst, ist
der jetzt in Paris lebende Amerikaner Man Ray. Er veröffentlichte um 1922
in der amerikanischen Zeitschrift „Broom" seine ersten Schöpfungen dieser
Art. In ihnen enthüllt sich eine unwirkliche, übernatürliche Welt, die rein
photographisch gebildet worden ist. Reine poetische Schöpfungen, die nichts
mehr mit den gewöhnlichen Reporter- und Sachphotos gemein haben und
sich zu ihnen verhalten wie die Dichtung zum Alltagsgespräch. Es wäre naiv,
•wollte man diese Schöpfungen als Zufallsprodukte oder als geschicktes Ar¬
rangementbezeichnen; daß sie alles andere als dies sind, kann jeder Fach¬
mann bestätigen. Hierwurden dieMöglichkeitenderautonomen Photographie
{ohne Kamera) zum ersten Male rein ausgebaut; aus derVerwendung moder¬
nen Materials erwuchs das Photogramm als die moderne Formpoesie.*
• Abbildungen zweier Photogramme von Man Ray befinden sich auf den Seiten 48 und 49.
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