die sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wesentlich verändert haben, und
dergegenüberfrüherstark vermehrten Verbraucherzahl, inderzunehmenden
Verbreitung der europäischen städtischen Kultur und der Vervollkommnung
aller Nachrichtenmittel, erfordert zu seiner Befriedigung zeitgemäße Mittel.
Der mittelalterliche Holzschnitt, der den Buchgewerbekünstlern als Ideal
vorschwebte, ist weder zeitgemäß, denn er ist schon archaisch geworden,
noch rationell in bezug auf seine Herstellungsdauer; er fügt sich den mo¬
dernen Reproduktionsverfahren schon rein technisch schlecht ein und vermag
unsere Ansprüche an Klarheit und Exaktheit nicht zu befriedigen.
Gerade in ihrer großen, oft übernatürlichen Klarheit und ihrer-Unbestech-
lichkeit beruht der eigentümliche Reiz der Photographie. Durch die Reinheit
ihrer Erscheinung und den mechanischen Herstellungsprozeß wird so die
Photographie zum gegebenen Mittel bildlicher Darstellung in unserer Zeit.
Daß die bloße, selbst die nicht ganz zufällige Photographie Kunst sei, darf
bestritten werden. Aber kommt es denn in allen Fällen ihrer Verwendung
auf Kunst an? Die einfache, sogar die gänzlich un künstlerisch e Photographie
genügt den Ansprüchen, die man an ein Reporter- oder Sachphoto stellt,
zumeist vollkommen; denn diese wollen nichts anderes sein als Mitteilungen
in bildlicher Form — keine Gestaltungen. Wo höhere Bedürfnisse vorhanden
sind, treibt die natürliche Entwicklung stets von selbst zu ihrer Befriedigung.
Sowenig die Photographie nun an sich Kunst ¡st, liegen aber in ihr Keime
zu einer Kunst, die sich freilich notwendig von den anderen Künsten sehr
unterscheiden muß.
An der Grenze zur Kunst befindet sich die „gestellte" Photographie. Durch
Beleuchtung, Arrangement, Ausschnitt lassen sich oft Wirkungen erzielen,
die eine verblüffende Ähnlichkeit mit Werken der Kunst haben können. Ein
einfaches Beispiel hierfür ist das nebenan abgebildete ganzseitige Inserat
aus der Zeitschrift „Vogue"-Paris, das schon als reines Photo bemerkens¬
wert, aber auch als Reklame noch dadurch interessant ist, daß keine Schrift
außer der auf den photographierten Gegenständen selbst befindlichen ver¬
wendet wurde und die Werbewirkung doch vollkommen ¡st.
Zur Kunst kann die Photographie namentlich in zwei Formen werden: ate
Photomontage und als Photogramm. Als Photomontage bezeichnet man
Bilder, die entweder ganz aus Einzelphotos zusammengeklebt sind (Photo¬
klebebilder) oder die das Photo als Einzelteil-neben anderen Bildelementen
verwenden (Photozeichnung, Photoplastik). Die Übergänge zwischen diesen
Arten sind fließend. In der Photomontage wird mit Hilfe gegebener oder
gewählter Einzelphotos eine neue Bildeinheit aufgebaut, die als bewußte,
nicht mehr zufällige, Gestaltung grundsätzlich Anspruch auf die Bezeichnung
Kunst hat. Natürlich sind nicht alle Photomontagen, genau so wenig wie
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Ganzseitiges photographisches Inserat (ohne ledo weitere Schritt)
aus der französischen Zeitschrift „Vogue". 1926.
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