anzutreffen. Wenn er logisch begründet ¡st (man kann einen wichtigen Teil
eines Wortes auf diese Weise betonen), ist gegen ihn nichts einzuwenden.
Das ist er aber meist nicht. Das Wort wird gewöhnlich aus rein formalen
Gründen durchschnitten. Es geht nicht an, in diesem Verfahren ein Kenn¬
zeichen der Neuen Typographie zu erblicken. Selbständige negative Zeilen
sind natürlich sehr schön und meist sehr wirkungsvoll.
Auch der häufige Wechselsatz, bei dem blockartige Gruppen abwechselnd
links und rechts von einer gedachten Senkrechten angeordnet werden, ist
meist eine gewaltsame äußere Form. Die dadurch entstehende ungleich¬
artige Sperrung und die Gewaltsamkeiten der Bildung von Blocksatzgruppen
sind unerfreuliche Wiederholungen längst erkannter Fehler.
Niemand wird wohl aber die Grundsätze der Neuen Typographie für das
Schlechte verantwortlich machen, das unter ihrem Namen geht. Der große
Wert der Bemühungen der Buchdrucker um einen typographischen Aus¬
druck unserer Zeit kann durch Fehlleistungen, die eine notwendige Begleit¬
erscheinung jeder neuen Bewegung sind, nicht geschmälert werden.
Schluß mit dem Schema F!
Ein sehr beliebtes Schemaorna¬
ment einer Typographie, die sich
für zeitgemäß hält. An die Stelle
der Kreisform tritt zuweilen auch
das auf die Spitze gestellte Qua¬
drat. Besonders schön, wenn das
Kreuz nicht aus den „doch ganz
gewöhnlichen" fetten Linien be¬
steht, sondern aus fettfeinen oder
anderen noch „interessanteren"
Liniengruppen. Wie raffiniert ¡st
das ausgesparte magische Qua¬
drat im Schnittpunkt I
Diese schematische Form
hat nichts mit gestaltender
Typographie zu tun!
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PHOTOGRAPHIE UND TYPOGRAPHIE
Der künstlerische Wert der Photographie ist umstritten, seit sie existiert.
Zuerst liefen die Maler gegen sie Sturm, um dann zu erkennen, daß sie für
sie keine erhebliche Konkurrenz war. Noch heute raufen sich die Kunst¬
historiker um einige Probleme, die die Photographie aufgeworfen hat. Die
Buchgewerbekünstler versagen ihr noch jetzt das Recht, Bestandteil eines
„schönen Buches" zu sein. Sie begründen das mit dem angeblichen ästhe-
tischenZwiespaltzwischen der rein graphischen, materiell stark körperlichen
Form der Type und der meist scheinbar „plastischen", materiell aber mehr
flächigen Netzätzung. Hierbei legen sie das Hauptgewicht auf die äußere
Erscheinung beider Druckformen; sie sehen den Hauptfehler in derangeblich
nicht buchmäßigen „Plastik" der Klischees. Der andere Einwand ist ohnehin
nicht sehr stichhaltig; zerfällt doch die Autotypie schließlich in lauter kleine
erhabene Einzelpunkte, die der Type durchaus verwandt sind.
Alle diese Theorien haben jedoch nicht verhindern können, daß, vornehm¬
lich seit nach dem Kriege, die Photographie im Buchdruck einen Siegeszug
ohnegleichen angetreten hat. Ihr großer, rein praktischerWert besteht darin,
daß man mit ihrer Hilfe auf mechanischem Wege verhältnismäßig leicht,
jedenfalls leichter als auf dem manuellen, ein getreues Abbild eines Objektes
schaffen kann. Das Photo ¡st zu einem so bezeichnenden Merkmal unserer
Zeit geworden, daß man es sich nicht mehr hinwegdenken könnte. Der Bild¬
hunger des modernen Menschen wird hauptsächlich durch die photogra¬
phisch-illustrierten Zeitschriften und Magazine befriedigt; die Inseratreklame
(vor allem Amerikas), auch vereinzelt schon die Plakatreklame, bedient sich
mehr und mehr des Photos. Das große Bedürfnis nach guten Photographien
hat die photographische Technik und Kunst außerordentlich gefördert; es
gibt in Frankreich und Amerika Mode-und Reklamephotographen, die viele
Maler qualitativ überragen (Paris: Paul Outerbridge, O'Neill, Heuningen-
Huene, Scaioni, Luigi Diaz; Amerika: Sheeler, BarondeMeyer, Ralph Steiner,
Ellis u. a.). Ganz Ausgezeichnetes leisten auch die meist anonymen Reporter¬
photographen, deren Bilder, nicht zum wenigsten auch in rein photographi¬
scher Hinsicht, oft mehr zu fesseln vermögen als die angeblich künstlerischen
Gummidrucke der zünftigen Porträtphotographen und Amateure.
Schon heute wäre es gänzlich unmöglich, den ungeheuren Druckbildbedarf
der Gegenwart mit Zeichnungen oder Malereien zu decken. Weder würden
die Künstler von Qualität dazu ausreichen, sie herzustellen, noch dieZeitzu
ihrer Fertigung und Reproduktion. Vieles Aktuelle könnten wir überhaupt
nicht erfahren, wenn es nicht die Photographie gäbe. Ein solch außerordent¬
licher Konsum kann gar nichtanders als auf mechanischem Wege befriedigt
werden. Er, der seinen Grund hat in den allgemeinen sozialen Verhältnissen,
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