sein als etwa Mörikes Gedichte oder ein Industriekatalog. Die Gotik hat den
Kirchenvater Augustin aus Textur, nicht aus Unziale gesetztl
Alles Druckwerk, gleichviel welcher Art, das in unsererZeit geschaffen wird,
muß die Kennzeichen unsererZeit tragen und darf nicht Druckerzeugnisse
früherer Zeiten imitieren. Das gilt natürlich nicht bloß von der Schrift,
sondern von allen Aufbauteilen, auch den Abbildungen, dem. Einband usf.
Frühere Zeiten, die sich im Gegensatz zur unseren stets ihrer selbst bewußt
waren, haben stets das Vergangene, oft in sehr krasser Form, verneint. Das
lehren die Ergänzungsbauten der Dome, die allgemeine Kulturentwicklung
und auch die Typographie. Der Stempelschneider Unger, Schöpfer der
Unger-Fraktur (um 1800), ein bedeutender Typograph, erklärte die Schwa-
bacher für eine häßliche Schrift und wurde dadurch zum Erfinder der Aus¬
zeichnung des Fraktursatzes durch Sperren (früher hatte man Fraktur mit
Schwabacher ausgezeichnet). Er hatte damit vollständig recht. Seine Zeit,
das Rokoko, fand die Gotik und ihre Ausdrucksformen, und damit auch die
Schwabacher, weil ihrem Wesen entgegengesetzt, häßlich, und Unger war
nur ihr Sprachrohr auf unserem' Gebiete.
Ein Kunsthistoriker mag die Qualität etwa der alten Schwabacher'schätzen
können; auch wir sehen in Ihr eine vollkommene~Schrift ihrerZeit— aber
wir müssen es ablehnen, diese Schrift des 15. Jahrhunderts heute noch-zu
verwenden ; denn sie ist höchst un-zeitgemäß. So ¡st es mit allen historischen
Schriften.
Wie jede Zeit, müssen auch wir nach einer Schrift suchen, die unser eigener
Ausdruck ist. Unsere Zeit ist gekennzeichnet durch ein allgemeines Streben
nach Klarheit und Wahrheit, nach der reinen Erscheinung. Darum ¡st das
Schriftproblem notwendig ein anderes als früher. Wir verlangen von derType
Deutlichkeit, Klarheit, Weglassung alles Überflüssigen. Damit kommen wir
zur Forderung eines geometrischen Formaufbäus. In der Grotesk besitzen
wir eine Schriftform, die dieser Forderung sehr nahe kommt, und darum ist
diese Schrift die Grundlage aller Weiterarbeit an der Schrift unserer Zeit.
Der Charakter einerZeit kann sich nicht nur in reichen und ornamentierten
Formen zeigen. Auch die einfachen geometrischen Formen der Grotesk
drücken etwasaus: Klarheit und Beschränkung auf das Wesentliche^ und
damit das Wesen unserer Zeit. Auf diesen Ausdruck kommt es gewiß an.
Nicht aber kommt es darauf an, Spezialschriften für die Ankündigungen von
Parfümfabrikanten und Modengeschäften oder für lyrische Ergüsse zu
schaffen. Nie war es Aufgabe der Stempelschneider früherer Zeiten, eine
Schrift mit einem individuellen Ausdruck herzustellen. Darum sind auch die
besten Schriften die, die für alles brauchbar sind, und die die schlechten,
die man nur für Visitenkarten oder Gesangbücher verwenden kann.
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Ein guter Buchstabe ¡st der, der sich selbst so deutlich und so klar wie
irgend möglich ausdrückt, besser aus„sagt". Und eine gute Schrift ist die,
die nichts als eine klare, höchstgradig deutliche Type sein will.
Zweifellos ist, im einzelnen betrachtet, die Grotesk noch einiger Verände¬
rungen bedürftig, aber sie wird unter allen Umständen Ausgangsform für
eine künftige Schrift sein müssen.
Die weiteren individuellen Ausdrucksmöglichkeiten der Schrift haben mit
Typographie nichts zu schaffen, sie sind ihrem Wesen feindlich; denn sie
stellen sich direkter, möglichst klarer Mitteilung, die doch immer Aufgabe
derTypographie ist, in den Weg.
Bisherige Rechtschreibung oder allgemeine „Klein"schreibuna?
In der Antiqua und ihrer einfacheren Form, der Grotesk, besitzen wir eine
Schrift, die nicht einheitlich gestaltet Ist, sondern in Wirklichkeit aus zwei
verschiedenen Alphabeten zusammengesetzt ist. Diese Zusammensetzung
¡st nicht ursprünglich, sondern erst im 15. Jahrhundert erfolgt. Das eine
Alphabet, die „Großbuchstaben"oder Versalien (Majuskeln), ¡st die Schrift der
alten Römer, die „Römische Kapitale", eine konstruktiv gestaltete Meißelform
aus dem Anfang unserer Zeltrechnung. Das andere Alphabet, die „Klein¬
buchstaben" oderGemeinen (Minuskeln),entstammtderZeitKarls desGroßen
(um 800); es ist die sogenannte Karolingische Minuskel, eine geschriebene
Federschrift mit Ober- und Unterlängen. Auch diese Schrift war ursprüng¬
lich selbständig. Der Begriff des „Großbuchstabens" war ihr zunächst fremd.
Erst die Renaissance verkuppelte beide Schriftarten, die Römische Kapitale
und die Karolingische Minuskel, zu einer einzigen Schriftart, der „Antiqua".
Daraus erklärt sich der im Deutschen besonders deutliche stilistische Zwie¬
spalt zwischen den Groß-und den Kleinbuchstaben. In anderen Sprachen, dem
Französischen oder Englischen etwa, ist er weniger auffällig, da die Recht¬
schreibung dieser Sprachen nicht eine solche Häufung derVersallen auf¬
weist wie die deutsche. Das englische Satzbild sieht so viel besser aus als
ein deutscher Antiquasatz, well es keine Akzente und vor allem keine gro߬
geschriebenen Hauptwörter kennt.
Es sind nun schon seit langer Zeit Bestrebungen im Gange, diese Gro߬
schreibung derHauptwörterzu beseitigen und die deutsche Rechtschreibung
in diesem Punkte der Internationalen anzugleichen. Die Auszeichnung der
Hauptwörter (Substantiva) durch Versalien am Anfang stammt noch aus dem
Barock und erscheint uns in keinerWeise mehr gerechtfertigt. Die Regeln
der Großschreibung stellen für den Unterricht eine unproduktive Belastung
dar und erschweren auch noch im späteren Leben durch ihre vielen Aus¬
nahmen eine vollkommene Befolgung der deutschen Rechtschreibung. Jakob
Grimm, einer der Begründer der Germanistik, forderte schon vor hundert