PIETMONDRIAN:
Für den neuen Menschen existiert
nur das Gleichgewicht zwischen
Natur und Geist. Zu jedem Zeitpunkt
der Vergangenheit waren alle Vari¬
ationen des Alten „neu". Aber es war
nicht „DAS" Neue. Wir dürfen nicht
vergessen, daß wir an einer Wende
der Kultur stehen, am Ende alles
Alten. Die Scheidung vollzieht sich
hier absolut und endgültig.
EINLEITUNG
Bald nachdem das von mir herausgegebene Sonderheft der Typographischen
Mitteilungen „elementare typographie" erschienen war, setzte in allen Orts¬
gruppen des Bildungsverbandes der Deutschen Buchdrucker und in den
Fachblättern eine lebhafte Diskussion über die darin aufgeworfenen Fragen
ein. Anfänglich zum Teil sehr heftig angegriffen und oft mit Entschiedenheit
verneint, hat sich heute die Neue Typographie in Mitteleuropa durchgesetzt.
Ihre Äußerungen begegnen dem heutigen Menschen auf Schritt und Tritt.
Sogar ihre ursprünglich schärfsten Gegner haben sich zu einer nachträg¬
lichen Anerkennung bequemen müssen.
Trotzdem aber bleibt noch vieles zu tun. Viele sehen noch immer das Wesen
der Neuen Typographie in einem technisch-symbolischen Formalismus, der
ihrem Wesen in Wirklichkeit entgegengesetzt ist. Dieses am Wesen vorbei¬
gleitende nur-formale Sehen ist historisch verständlich: die bisherige Typo¬
graphie war immer formal eingestellt; es ist nicht zum wenigsten auch eine
Folge der nicht allzulange zurückliegenden Versuche, den Buchdrucker
zum Gebrauchsgraphiker zu machen, womit man ihn dem Wesen seines
Berufs nur entfremdete.
Eine Auseinandersetzung mit den geistigen Grundlagen der Neuen Typo¬
graphie ¡st daher für jeden zwingende Notwendigkeit, der sich auf dem
Gebiete des Buchdrucks schöpferisch betätigen will. Das bloße Nachahmen
der Äußerlichkeiten ist nur ein neuer Formalismus, nicht besser als die
alten. Die wirkliche Erlösung von den starren Schemen der Vergangenheit
konnte nicht von der Erziehung zum Schriftkünstler und zum Gebrauchs¬
graphiker kommen ; sie wird nie von etwas anderem kommen können, als
von einer auf das Wesentliche gerichteten Einstellung zurTypographie und
ihrer geistigen Verbundenheit mit dem allgemeinen Geschehen.
Die lakonische Kürze der Proklamation des Neuen hat das Bedürfnis nach
einer ausführlichen Darstellung geweckt. Ihm will das vorliegende Buch ent¬
sprechen. Weiterhin schien dem Verfasser wichtig, Richtlinien für die Ge¬
staltung der häufigsten Drucksachen zu geben, den Buchdrucker vor allem
mit den buchgewerblichen Normen bekannt zu machen, die mehr und mehr
Interesse und Verbreitung finden. Bisher existierte ein Buch, das solche
allgemeine Richtlinien gab, noch nicht, wohl mit Grund für das trotz allem
noch chaotische Bild der heutigen Typographie.
Trotz den vielen Beispielen ¡st dieses Buch aber kein Vorlagenbuch. Es soll
anregen und den Buchdrucker zum Bewußtsein seiner selbst und der
Eigenart gerade seiner Arbeit bringen. Das bloße Durchblättern würde,
genau wie bei dem Sonderheft „elementare typographie" nur zu Mißver¬
ständnissen und neuen Fehlern führen. Die „Form" der Neuen Typographie
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