sind sie weniger gut als die alten Grotesken. Einen wesentlichen Schritt
nach vorwärts bedeutet die Futura von Paul Renner.
Aber alle bisherigen Bemühungen, die Schrift der neuen Zeit zu schaffen,
gehen nur um eine „Verbesserung" der bisherigen Grotesk; es fehlt allen
diesen Versuchen, die noch viel zu artistisch, zu „künstlerisch" Im früheren
Sinne sind, die notwendige grundsätzliche Einstellung.
Ich persönlich glaube, daß es nicht einem einzelnen vorbehalten sein kann,
die Schrift unseres Zeitalters zu schaffen, die von jeder persönlichen Linien¬
führung frei sein müßte. Sie wird das Werk mehrerer sein, unter denen sich
wohl auch ein Ingenieur befinden müßte.
Vorläufig scheinen mir unter allen vorhandenen Groteskschriften die Ak¬
zidenzgrotesken (zum Beispiel von Bauer & Co., Stuttgart) wegen ihrer
verhältnismäßig sehrsachlichen und ruhigen Linienführung am geeignetsten.
Schon weniger gut sind die Venus-Grotesk und ihre Kopien, wegen der
schlechten Form der Versal-E und -F und des gemeinen t (häßliche schräge
Abschnitte der Schäfte). In dritter Linie folgen —wenn nichts Besseres zur
Hand ist—die „malerischen" Blockschriften (magere und fette „Block" usw.)
mit ihren scheinbar angefressenen Rändern und runden Ecken. Die exakten,
konstruktiven Formen derfetten Antiqua, der Aldine und der(alten)Egyptienne
genießen, soweit Auszeichnungsschriften in Betracht kommen, den Vorrang
vor den übrigen Antiquaschriften.
Die grundsätzliche Beschränkung auf diese wenigen Schriftarten bedeutet
indessen nicht, daß Drucker, die über keine oder zu wenig Groteskschrift
verfügen, nicht auch mit anderen Schriftarten zeitgemäße Typographien
gestalten könnten. Aber es muß unbedingt daran festgehalten werden, daß
die Grotesk stets den Vorrang hat und stets besser ist. Ich bin mir wohl
bewußt, daß die Ausschließlichkeit dieser Forderung einen Angriff auf die
romantische Vorliebe nicht geringer Teile der Buchdruckerschaft und des
Publikums für die alten verzierten Buchstabenformen darstellt. Diese alten
Schriften können übrigens zuweilen in der modernen Typographie eine neue
Anwendung finden: als Witz, wo es sich zum Beispiel darum handelt, die
„gute alte Zeit" typographisch zu parodieren; als Blickfang unter Grotesk¬
schriften (zum Beispiel ein großes Fraktur-B) usw. (wie etwa die pompösen
wilhelminischen Generals- und Admiralsfräcke zu Portieruniformen und
Maskenballanzügen degradiert worden sind). Wer so an der Fraktur, dieser
Kanzlistenschrift des 16. Jahrhunderts, hängt, daß er nicht von ihr lassen
kann, sollte sie dann auch nicht durch eine u nsere r Zeit gemäße Grup¬
pierung, die nie zu ihr passen kann, vergewaltigen. Die Fraktur, ebenso
wie Gotisch und Schwabacher, hat so wenig mit uns zu tun, daß sie als
Aufbauform zeitgemäßer Typographie vollkommen ausschaltet.
76
= NATIONALISMUS
Der betont nationale, p.artikularistische Charakter der Fraktur, aber auch
der entsprechenden Nationalschriften anderer Völker, zum Beispiel des
Russischen oder Chinesischen, widerspricht den heutigen übernationalen
Bindungen der Völker und zwingt zu ihrer unabwendbaren Beseitigung*
An ihr festzuhalten, ist Rückschritt. Die lateinische Schrift ist die inter¬
nationale Schrift der Zukunft. Allerdings bedarf diese noch ganz beträcht¬
licher Veränderungen, wenn sie den wirtschaftlichen Bedingungen der
Neuzeit entsprechen und den technischen Formen der Gegenwart und gar
der Zukunft ebenbürtig sein will.
Ebensowenig wie die Fraktur kommen jene Lateinschriften in Frage, die durch
ihre besondere Form fesseln (z. B.Schreib- und Zierschriften, Eckmann u.a.).
Die Einzelheiten solcher Buchstaben lenken das Interesse vom Inhalt ab
und widersprechen so dem Wesen derTypographie, die nie Selbstzweck ist.
Ihre parodierende Anwendung, in dem schon oben bezeichneten Sinne,
bleibt natürlich offen.
Als Brotschrift ist die heutige Grotesk nur bedingt geeignet. Ein fetter
Schnitt kommt kaum in Frage, da sich fette Grotesk ihn fortlaufenden Satz
zu schwer Nest. Die besten Erfahrungen machte ich mit der sogenannten
Gewöhnlichen Akzidenzgrotesk, die ein ruhiges und bequem lesbares Bild
ergibt. Indem ich dieses Buch aus einer solchen Grotesk setzen ließ, wollte
ich nachweisen, daß man sie sehr gut lesen kann; im übrigen habe ich an
ihr noch mancherlei auszusetzen. Trotzdem aber zog ich sie allen Antiqua-
• In Rußland, der Türkei und China sind von Staats wegen Bestrebungen im Gange, die dort noch allein¬
gültigen Nationalschrlfien durch Gesetz abzuschaffen und sie durch die lateinische Schrift zu ersetzen. In
Deutschland dagegen werden die lateinischen Aufschriften dar Bahnhöfe durch solche in gotischer (für den
Ausländer fast unleserlicher) Schrift ersetzt. Auch ein „Fortschritt" I
77
gtctítut
вфголЬафес ©otífd)
Griechisch
Cyrillisch
(= Russisch und Bulgarisch)
Türkisch (= Arabisch)
Chinesisch (= Japanisch)
Indisch
Schriften der Exoten
(Zulukaffern, Papuas usw.)