Während die Neue Typographie nun auf der einen Seite sehr viel größere
Variationsmöglichkeiten des Aufbaus selbst geschaffen hat, drängt sie ander¬
seits zu einer „Standardisierung" der Aufbaumittel, analog dem gleichen
Vorgang in der Baukunst. Die alte Typographie verfuhr umgekehrt: Sie
kannte nur eine Form, die Mittelachsengruppierung, erlaubte aber die Ver¬
wendung aller möglichen und unmöglichen Aufbauteile (Schriften, Orna¬
mente usw.).
Die Forderung nach Klarheit der Mitteilung läßt die Frage entstehen, auf
welche Weise man zu einer klaren eindeutigen Form gelangt.
Vor allem ist notwendig eine stets neue, ursprüngliche Einstellung und die
Vermeidung jeden Schemas. Wenn man klar denkt und frisch und unbeirrt
an die jeweilige Aufgabe herangeht, wird wohl meist eine gute Lösung
entstehen,
Das oberste Gebot ¡st Sachlichkeit. Doch darf man darunter nicht eine
Form verstehen, an der alles, was man ihr früher anhängte, weggelassen
worden ist, wie auf dem hier abgebildeten Briefbogen „Das politische Buch".
Die Schrift ist hier zwar sehr sachlich, auch fehlt jedwedes Ornament.
Di ese Sachlichkeit meinen wir nicht. Man wird sie besser mit dem Namen
Dürftigkeit belegen. DerBriefbogen beweistübrigensauch die innereHohlheit
des alten Prinzips: es steht und fällt mit der Verwendung ornamentaler
Schriften.
Und doch ist die Weglassung alles Überflüssigen absolute Forderung. Man
darf nur nicht die alte Form entkleiden, sondern muß von Anfang eine neue
aufbauen. Es ist sei bstverständlich.daß eine solche fu n ktione 11 e Gestaltung
die Ablösung der jahrhundertealten Herrschaft des Ornaments bedeutet.
BUCHVERTRIEB
GMBH
DAS POLITISCHE BUCH«
BERLIN-SCHMARG ENDORF
13.12.1926.
B.H./Sch.
Axiale Anordnung bei Verwendung von Qrotesk eines FeHigkeitsgrades ist ohne Jed
optische Wirkung und stellt heute den .typographischen Nullpunkt' dar (Briefkopf einer Buchhandlung).
70
Die Verwendung des Ornaments, gleichviel welches Stils oder welcher
Qualität, geht hervor aus einer kindlich-naiven Einstellung. Man begnügt
sich nicht damit, einen Gegenstand in Reinheit zu gestalten, sondern gibt
einer primitiven Einstellung nach (die letzten Endes von Furcht vor der
reinen Erscheinung zeugt), indem man ihn „schmückt". Mit dem Ornament
kann man ja auch so gut die Fehler der Gestaltung verdecken I Der bedeu¬
tende Architekt Adolf Loos, einer der ersten Vorkämpfer reiner Gestaltung,
schrieb.schon 1898: „Je tiefer ein Volk steht, desto verschwenderischer ist
es mit seinem Ornament, seinem Schmuck. Der Indianer bedeckt jeden
Gegenstand, jedes Boot; jedes Ruder, jeden Pfeil über und über mit Orna¬
menten. Im Schmucke einen Vorzug erblicken zu wollen, heißt, auf dem
Indianerstandpunkte stehen. Der Indianer in uns aber muß überwunden
werden. Der Indianer sagt: Dieses Weib ¡st schön, weiles goldene Ringe in
der Nase und in den Ohren trägt. Der Mensch auf der Höhe der Kultur sagt:
Dieses Weib ist schön, weil es keine Ringe in der Nase und in den Ohren
trägt. Die Schönheit nur in der Form zu suchen und nicht vom Ornament
abhängig zu machen, ist das Ziel, dem die-ganze Menschheit zustrebt."
Der heutige Mensch erblickt in der Anwendung des Ornaments eine plebe¬
jische Ausdrucksweise, die unser-Jahrhundert überwinden muß. Wenn
frühere Zeiten das Ornament in oft sehr hohem Maße angewendet haben,
so beweist das nur, wie fern sie der Erkenntnis des Wesens der Typo¬
graphie, das Mitteilung ¡st, waren.
Als Ornament sind nicht nur die Reihenornamente und Schmuckstücke,
sondern auch alle Linienkombinationen anzusehen. Auch die fettfeine Linie
muß, da auch sie ein Ornament ist, abgelehnt werden. (Sie ging hervor
aus dem Bestreben, Gegensätze zu mildern, zu verdecken — zu nivellieren.
Die Neue Typographie aber betont die Gegensätzlichkeiten und bildet aus
ihnen eine harmonische Einheit.)
Zum Ornament in diesem Sinne gehört aber auch der „abstrakte Schmuck",
den einige Schriftgießereien unter verschiedenen Namen herausgebracht
haben. Leider haben weite Kreise das Wesen der Neuen Typographie bloß
in der Verwendung von fetten Linien, Kreisen und Dreiecken gesehen. Wenn
man diese an die Stelle des alten Ornaments setzt, ist nicht das geringste
gebessert. Dieser Irrtum ist verzeihlich, da ja alle frühere Typographie
ornamental eingestellt war. Aber gerade darum kann nicht scharf genug
dagegen Stellung genommen werden, das alte Pflanzen- oder sonstige Orna¬
ment durch abstrakte Ornamente zu ersetzen. Auch mit dem in letzter
Zeit so sehr propagierten Bildsatz hat die Neue Typographie
nichtdasgerings te zutun. Er ¡st ihrem Wesen in fast allen seinen An¬
wendungsarten entgegengesetzt.
71