In einigen anderen Ländern Europas vollzogen sich parallele Entwicklungen,
vor allem in der Tschechoslowakei, in Ungarn, Rußland, Polen und neuer¬
dings auch in Frankreich. Heute arbeiten in allen diesen Ländern Europas
Künstler, die das Neue auf unserem Gebiete verwirklichen:
in BELGIEN: P. L Flouquet, J. Peeters;
in DÄNEMARK: Torben Hansen, Harald Landt Momberg und andere;
in DEUTSCHLAND: Willi Baumeister, Herbert Bayer, Max Burchartz, Gert
Caden,Walter Dexel, Cesare Dómela,WernerGräff, John Heartfield, Lelstikow,
Hannes Meyer, Robert Michel, L Moholy-Nagy, Johannes Molzahn, Peter
Röhl, Oskar Schlemmer, Joost Schmidt, Kurt Schwitters, Franz W. Seiwert,
Jan Tschichold, Vordemberge-Gildewart und andere;
in FRANKREICH: Le Corbusler-Saugnler, M. Seuphor und andere;
in HOLLAND: S. v. Ravesteyn, Schuitema, H. N, Werkman, Piet Zwart und
andere;
in POLEN: M. Szczuka und andere;
in RUMÄNIEN: M. Jancu und andere;
in RUSSLAND: Alexej Gan, Kluzis, El Lissitzky, Rodtschenko, Sjenjkin,
G. Stenberg und andere;
in SERBIEN: Ljubomir Mitzitsch-;
in der TSCHECHOSLOWAKEI: Markalous, Zd. Roßmann, Karel Teige und
andere;
in UNGARN: Kassák, Molnar-Farkas und andere.
Schließlich hat das Heft „Elementare Typographie" (Sonderheft der Typo¬
graphischen Mitteilungen), das der Verfasser dieses Buches im Oktober1925
herausgab, Erhebliches zur Verbreitung der Neuen Typographie in den
Kreisen der Buchdruckerschaft beigetragen. Nachdem es im Anfang teil¬
weise außerordentlich abfällig beurteilt und heftig angegriffen wurde, ¡st
heute der Sieg der Neuen Typographie gesichert, und selbst die ehedem
erklärten Feinde unter den führenden Blättern des Buchgewerbes (mit der
einzigen Ausnahme der„SchweizerGraphlschen Mitteilungen", die unentwegt
an dem alten ausgetretenen Stiefel festhalten) haben sich zu ihrer nach¬
träglichen Anerkennung entschließen müssen. Sie verbergen allerdings
diese Gesinnungsänderung unter Phrasen, wie: daß sie nur die „gemäßigte"
Richtung (die es gar nicht gibt) anerkennen, usw.; nachdem sie auch schon
vorher, von Redensarten und rein gehässigenÄußerungen abgesehen, nichts
von Bedeutung gegen das Neue vorzubringen vermochten, haben sie sich
nun mit dem Neuen notgedrungen abfinden müssen. Im schlimmsten Falle
hüllt man sich in ein Schweigen, das nur die stillschweigende notwendige
Anerkennung bedeutet. Der Ausgang des Kampfes beweist wieder einmal,
wie wenig die Privatmeinung einzelner Mucker auszurichten vermag.
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Es wäre naiv und kurzsichtig, wollte man in der Neuen Typographie, dem
Ergebnis der kollektiven Bemühungen einer ganzen Künstlergeneration,
eine Mode von kurzer Dauer erblicken. Der Bruch mit der alten Typographie,
derdurch sie vollzogen wurde, bedeutet nichts anderes als die grundlegende
Abkehr von der dekorativen Gesinnung und die Wendung zu einer funktio¬
nellen Gestaltung. Diese ¡st das Kennzeichen der neuen Zeit überhaupt;
und so wenig die.Technik, die neue Architektur und die neue Musik bloße
Moden sind —sie sind Ausdruck der jetzt anbrechenden neuen Epoche der
europäischen Kultur —, ist es auch die Neue Typographie. Ihre Absicht,
mit elementaren zeitgemäßen Mitteln jede Arbeit sinngemäß und so voll¬
kommen als nur möglich zu gestalten, fordert eine frische Einstellung zu
jeder einzelnen Arbeit; da die Techniken und Bedürfnisse in ständigem
Wandel begriffen sind, ist eine Erstarrung nicht denkbar. Von hier aus er¬
geben sich auch die Möglichkeiten einer Weiterentwicklung : diese beruht
weniger auf artistischen Experimenten, denn auf veränderten Reproduktions¬
verfahren und den durch sie und soziale Verhältnisse bewirkten veränderten
Bedürfnissen.
DIE GRUNDSATZE DER NEUEN TYPOGRAPHIE
Der moderne Mensch hat täglich eine Unmenge von Gedrucktem aufzu¬
nehmen, das, bestellt oder umsonst, ¡hm ins Haus geliefert wird und ihm
außer Hause in den Plakaten, Schaufenstern, der Wanderschrift usw. ent¬
gegentritt. Die neue Zeit unterscheidet sich hinsichtlich der Druckproduktion
von der früheren zunächst weniger durch die Form, als.durch die Menge.
Mit der zunehmenden Menge wird aber auch die Form der Drucksache
Veränderungen unterworfen; denn die Schnelligkeit, mit der der heutige
Drucksachenverbraucher das Gedruckte aufnehmen muß, der Zeitmangel,
der ihn zu höchster Ökonomie des Leseprozesses zwingt, fordert unabweis-
lich auch eine Anpassung der „Form" an die Bedingungen des heutigen
Lebens. Wir lesen in der Regel nicht mehr ruhig Zeile für Zeile, sondern
pflegen das Ganze zunächst zu überfliegen, und erst, wenn unser Interesse
erweckt ¡st, es eingehender zu studieren.
Die alte Typographie ist sowohl ihrem geistigen Inhalt als auch ihrer Form
nach auf den früheren Menschen zugeschnitten, der, unbedrängt von Zeit¬
mangel, beschaulich Zeile um Zeile lesen konnte. Die Zweckmäßigkeit konnte
in jener Zeit noch keine Rolle von Bedeutung spielen. Darum bekümmerte
sich die alte Typographie weniger um sie, denn um etwas, was man als
„Schönheit", „Kunst" oder ähnlich bezeichnete. Formalästhetische Probleme