erschreckenden Ausmaßen, größeren wohl, als selbst der Futurismus gewollt
hatte. Er brachte auch die Auflösung der bisherigen Lebensform und befreite
uns auch ein wenig von „dem Krebsschaden der Professoren, Archäologen,
Ciceronen und Antiquare", den der Futurismus bekämpfen wollte.
Die Jugend, die im Kriege groß wurde und den ganzen Zusammenbruch
der morschen individualistischen Vorkriegskultur am eigenen Leibe erlebte,
schuf sich In der Dada beweg ung einen ihr konformen Ausdruck. Die Tendenz
dieser Bewegung, die von einigen kriegfeindlichen Intellektuellen, die sich
in die Schweiz geflüchtet hatten, ausging, war negativ. In Deutschland wurde
von ihren Führern im Juni 1917 der Prospekt zur Kleinen Groß-Mappe „Neue
Jugend" herausgegeben, der eins der frühesten und bedeutsamsten Doku¬
mente der Neuen Typographie darstellt. Wir finden in ihm bereits ihre typi¬
schen Eigenschaften: Befreitsein von der „traditionellen" Satzweise, große
Grad-, Form- und Farbkontraste, Verwendung aller Zeilenrichtungen -und
Schriftarten und der Photographie. Die überhitzte Ohnmacht gegen den
kapitalistischen Krieg findet ihren literarischen Ausdruck in politischen
Artikeln „Man muß Kautschukmann sein", „Betet mit dem Schädel gegen
die Wand", „Arbeit Arbeit Arbeit Arbeit: Triumph der Christian Science" usw.
In der äußeren Form des Flugblatts spiegelt sich das ganze Chaos jener Zeit.
In Frankreich, wohin sich ein Teil der Schweizer Dadaisten verlor, nahm Dada
mehr lyrischen Charakter an. Er propagiert „l'art abstrait", die abstrakte
Kunst; politische Ziele lagen ihm fern. Seine typographischen Äußerungen
stechen hervor durch ihre bewußt antihistorische Form, eine ungehemmte
Verwendung aller typographischen Formen, mit denen bisweilen, wie in dem
Beispiel der Seite 57, „ein Zirkus der dynamischen Werte" aufgerichtet
wird (Kurtz). Diese interessante Arbeit kann nur rein malerisch begriffen
werden ; die meisten zünftigen Buchdrucker dürften ihr, die ungeachtet ihrer
großen malerischen Qualitäten natürlich ganz untypographisch gedacht ist,
wohl verständnislos gegenüberstehen.
In der Folgezeit, also nach dem Kriege, haben die Schöpfer der gegenstands¬
losen Malerei und des Konstruktivismus die Gesetze einer zeitgemäßen
Typographie in praktischer Arbeit gefunden. Ähnliche Absichten wie die, die
zur absoluten Malerei führten — Gestaltung aus elementaren Formen und
Verhältnissen-^, brachten, auf unser Gebiet angewandt, die Neue Typographie
hervor. In Deutschland waren es vor allem Willi "Baumeister, Walter Dexel,
Johannes Molzahn, Kurt Schwitters und einige andere, die schon um 1922
die Neue Typographie verwirklichten.
Von wichtigen Veröffentlichungen aus dieser Zelt nenne ich die Dada-Ver¬
öffentlichungen von George Groß, Heartfield, Huelsenbeck, und dieZeitschrift
„Merz", herausgegeben von KurtSchwitters-Hannover, derin IhrerNummerll
58