noch oft so kleinbürgerlich, daß wir sie schwerlich als den spezifischen Aus¬
druck des modernen Menschen anerkennen können.
Nicht gleichzustellen mit dieser „Neuen Sachlichkeit", die Im Grunde nur zu
oft das Alte in einem neuen Mäntelchen ist, ist eine neue Einbeziehung etwa
der menschlichen Figur oder auch lebloser Gegenstände, wie sie etwa von
Willi Baumeister (siehe Bild auf der vorigen Seite) und Fernand Léger ver¬
sucht wird, und die eine Weiterentwicklung des „reinen" Bildes ohne Auf¬
hebung seiner Eigengesetzlichkeit bedeutet.
Die Abbildungen unseres Buches vermögen naturgemäß eine leider nur
schwache Vorstellung von der Schönheit des modernen Bildes, das so sehr
auf Farbe gegründet ist, zu vermitteln. Auch farbige Abbildungen bleiben ja
immer weit hinter dem Original zurück.
Wir können hier nur den Wunsch ausdrücken, daß man sich durch Besuch
moderner Kunstausstellungen und eigene Anschauung mit dem Phänomen
der Neuen Kunst auseinandersetze.
ZUR GESCHICHTE DER NEUEN TYPOGRAPHIE
Nach dem „StiT'wirrwarr der 80er Jahre, der sich auch auf dem Gebiete der
Typographie nicht weniger als auf allen anderen verheerend ausgewirkt
hatte, und nach der ihm folgenden Reaktion, der „Freien Richtung", versuchte
derJugendstil um die Wende des 19. Jahrhunderts dem neuen Lebensgefühl
einen adäquaten Ausdruck zu verleihen. Er war bestrebt, den Historismus
durch ein Zurückgehen auf die Naturformen und eine sinngemäße Gestal¬
tung der Form aus Funktion, Konstruktion, Material und Bearbeitungs¬
methoden zu beseitigen,
Im Buchgewerbe hat sich vor allem Peter Behrens um eine neue Form
bemüht. Trotz den grundsätzlich richtigen Theorien gelang es aber den
Künstlern des Jugendstils nicht, wirklich sinngemäße Formen zu bilden,
weil sie zu sehr von der Form, die sie als etwas Selbständiges begriffen,
ausgingen und ihre Abhängigkeit von den eigentlichen Gestaltungsfaktoren
Bedürfnis, Zweck, Rohstoff und Bearbeitungsmethoden nicht erkannten.
Darum konnte derJugendstil an die Stelle des historischen ein zwar neues
und eigenartiges-Ornament setzen ; eine wirklich neue Einstellung zur „Form"
hat er trotz der zahlreichen richtigen Ansätze nicht gefunden. Trotzdem
bleibt dem Jugendstil das große Verdienst, ein entscheidender Wegbereiter
des Neuen, das sich allerdings erst nach Jahren der Reaktion wieder zeigen
sollte, gewesen zu sein.
Es ist nun auffallend, zu beobachten, daß Peter Behrens in einigen der von
ihm „ausgestatteten" Bücher als Brotschrift die Grotesk verwandte. Auch
52
der holländische Jugendstil, von dem aus eine direkte und ununterbrochene
Verbindung bis zu Oud, Mondrian und Doesburg, den Heutigen, führt, hat
von Anfang die Grotesk, früher allerdings oft verzerrt, als einzige Schriftform
verwandt. In beiden Fällen kam man deshalb zu dieser Schriftform, weil
man nach der einfachsten, der Urform der Schrift suchte. Sie wurde von
den konstruktiven Repräsentanten des Jugendstils bevorzugt, während
freilich Otto Eckmann, malerischer Vertreter dieser Richtung, den merk¬
würdigen, aber interessanten Versuch machte, die Formen der Fraktur und
der Antiqua zu verbinden und die Buchstabenform aus der Pinseltechnik
entstehen zu lassen. Zwar hat Eckmann In jener Zeit das Buchgewerbe stark
beeinflußt; doch können wir ihn nicht, so wie etwa Behrens, als eigentlichen
Vorläufer der Neuen Typographie betrachten. Als derJugendstil sich verlor
— er konnte seine zu unklaren Absichten aus Mangel an geeignetenAufgaben
nicht verwirklichen —, folgte ¡hm im Buchgewerbe, eingeleitet durch die
WieynckscheTrianon, eine Zeit erneuten Zurückgehens auf die historischen
Stilarten, wenn auch auf etwas höherer Ebene. Sie sollte auf der Bugra 1914
und noch auf der Internationalen Buchkunstausstellung Leipzig 1927 ihre
höchsten, aber letzten Triumphe feiern.
Einziger Lichtblick in dieserZeit blieb die ebenfalls in derZeit des Jugend¬
stils gegründete Wiener Werkstätte, die das Bemühen um eine zeitgemäße
Form nicht aufgab. Ich besitze ein sehr interessantes kleines Büchlein dieser
Werkstatt aus-dem Jahre 1905, das ich ebenso wie die Jugendstilbücher
Behrens' und die holländische Jugendstiltypographie den Voranzeichen
unserer Typographie einreihen möchte. Es ist eine kleine Werbeschrift im
Format eine rZigarettenschachtel in schwarzem Karton mitelnem weißen, das
bekannte Signet enthaltenden Titelschi Id geheftet. Innen finden wir als Type die
Versallen der konstruktiven sogenannten Elzevir; eine einfache Randleiste:
eine Doppelreihe aus ganz kleinen Quadraten ; negative Initialen auf quadra¬
tischen Feldern oh ne Verzierung. Dazu treten Photoklischees, die dieBreite des
Satzspiegels haben und vorzüglich aufgenommen sind. Zwar ist, wie wir sehen,
die Typographie noch immer ornamental ; trotzdem aber können wir dieses
Heft positiv werten infolge seiner bewußten Abkehr von den historischen
Stilarten, seiner Verwendung einfacher geometrischer Formen, und der
Photographie und seinem Aufbau aus sehr stark kontrastierenden Schwarz-
Weiß-Formen.
In ähnlichem Sinne möchte ich die allerdings viel später entstandene Schrift
und Typographie des auch der Wiener Werkstätte entstammenden C. 0.
Czeschka bewerten. Die nach ihm benannte Schrift, die um 1912 erschien,
ist in der ganzen Reihe individualistischer Künstlerschriften der Vor- und
Nachkriegszeit der einzige Versuch, der nicht von der historischen Form,
53