mehr als eine lose Kette scheinbar auseinanderstrebender „Ismen", als eine
Entwicklung,die die Formgestaltung unsererZeitentscheidend beeinflußt hat.
So wichtig nun unter diesen Bewegungen die absolute Malerei Cunten diesem
Namen wollen wir die „abstrakten" Richtungen der jüngeren Entwicklung
zusammenfassen) als Ausgangspunkt der Entwicklung zu einer neuen Sach¬
gestaltung und einer neuen Architektur auch ist, ihr Wert ist damit keines¬
wegs erschöpft.
Nachdem die Maler selbst eine Zeitlang dem Bild Todfeindschaft geschworen
hatten und das Wandbild strikt abgelehnt hatten, haben wir heute zu dem
Problem des Bildes eine neue Einstellung gewonnen ; wir sehen in ihm keinen
Schmuck, sondern eine lebensnotwendige Funktion. Wir hängen das Bild
heute auch nicht mehr an eine beliebige Wand, sondern fügen es der Archi¬
tektur unserer Wohnräume bewußt ein. Mit einer bloßen realen Gestaltung,
so vollkommen sie auch sein möge, können wir uns nicht begnügen; denn
der Mensch drängt noch immer danach, sich ein Symbol seines geistigen
Weltbildes zu schaffen.
Daß zwischen unserer Zeit und der eben vergangenen Zeit die stärksten
Gegensätze bestehen, drückt sich notwendig auch in dem Verhältnis
unserer Kunst zu der früheren aus. Unsere Lebensformen stehen denen
RODTSCHENKO: Komposition mit schwarzem Kreis
(Verlag der Photographischen Gesellschaft, Berlln-Charlottenburg 9)
LA JOS KASSA К : Relief in Holz, Papier und Blech
der früheren Generationen konträr gegenüber; wie sollten wir in der Kunst
der vergangenen individualistischen Epoche den uns konformen Ausdruck
erblicken können? Die Kunst ist von je Vorzeichen und subtilster Ausdruck
neuer geistiger Einstellungen gewesen. Auch die Kunst unserer Zeit, so
fremd sie einzelnen noch erscheinen mag, ist Ausdruck unser selbst, denn
sie konnte erst in unserer Zeit entstehen.
Der Wert der Kunst früherer Zeiten wird durch die heraufkommende neue
Kunst nicht geschmälert; denn es wäre kindlich naiv, eine „qualitative" Ent¬
wicklung der Kunst anzunehmen, d. h. zu glauben, daß erst wir „die" Kunst
entdeckt hätten. Aber eine jede Zeit schafft, wenn sie selbst von einer anderen
verschieden ist— und welche Zeit wäre das nicht?—, einen neuen, ihr, und
nur ihr, eigentümlichen Ausdruck. Die Kunst ist die Summe aller dieser
Einzeläußerungen. Daraus ergibt sich von selbst, daß man zu der Kunst
unserer Zeit eine andere Einstellung gewinnen muß als zu der früherer
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