und vernichtete alles Stoffliche in sich, um rein zu werden für die Empfängnis
des neuen Gegenstandes. Hier wurde mit der Komposition abgeschlossen,
um demnächst zur Konstruktion überzugehen" (Ulen). Malewitsch wandte
sich 1919 von der Malerei zur Architektur.
Der Russe El Llssitzky faßt die Splitterteile des Suprematismus zusammen
und erweitert dessen Mittel um die stereometrischen Gebilde. Sei ne Phantasie,
inspiriert von der Schönheit und den außerordentlichen Möglichkeiten der
modernen Technik, schafft das neue Kunstwerk, das Artefakt. Er benennt es,
da die früheren Namen „Gemälde" oder „Plastik" nicht mehr da rauf angewandt
werden können, mit dem neuen Wort „Proun" (sprich pro-un).
H -r-f PIETMONDRIAN:
l-'-~¿:' Rautenförmiges Bild
^Г (f926)
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Der westliche Gegenpol dieser Kunstform ist der holländische Neoplastlzis-
mus», der durch Theo van Doesburg und Mondrlan vertreten wird. Im Gegen¬
satz zu der räumlich-dynamischen Gestaltung des Suprematismus vermeidet
Mondrlan jede Raumillusion und beschränkt sich auf die absolute Fläche.
Die Spannungen seiner roten, blauen und gelben Farbflächen, stets als
Rechtecke und stets wagerecht-senkrecht komponiert, drücken eine feier¬
liche, geistige Monumentalität aus. In dem Streben, jede räumliche Illusion zu
meiden, geht Mond ria n, um die natürliche Dynamik der Farbe zu verhindern,
so weit, daß er sie in schwarze Linien einschließt. Dadurch wird das Un¬
mögliche möglich: Rot, Blau und Gelb erscheinen wirklich in einer Ebene.
In Rußland wurde derSchritt von diesen noch rein malerischen Gestaltungen
zum Konstruktivismus zuerst vollzogen. Dieser stellte sich die Gestaltung der
realen Welt zur Aufgabe (es ist falsch, irgendwelche Maler-Richtungen als
Konstruktivismus zu bezeichnen). Die Gestaltung des Bildes aus elemen¬
taren Aufbauformen und gesetzmäßigen Beziehungen führte bald dazu, an
die Stelle der bisherigen farbigen und räumlichen Illusionen reale Stoffe:
Blech, Draht, Holz, Glas usw., zu setzen. Was die Kubisten, besonders Picasso
und Braque, schon 1913 versucht hatten: die Einbeziehung solcher dem
Bilde bisher fremden Materialien, wurde nunmehr auf die Spitze getrieben.
Der Anfang dieser Bewegung wird durch das Konterrelief Tatlins ge¬
kennzeichnet. Es war noch immer ein artistisches Experiment, denn die
Wirklichkeit wurde mit der bloßen (zwecklosen) Verwendung realer Stoffe
noch nicht gestaltet. Aber diese Experimente waren immerhin der Auftakt
zu einer praktischen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Die Liebe
zu unserer neuen gegenständlichen Welt der Maschinen und Apparate, zu
unserer technischen Zeit führte die Konstruktivisten bald auf den richtigen
Weg : Tati in konstruierte sein Modell zu einem Turm der Dritten Internationale,
einer ungeheuren Spirale aus Glas und Eisen. DerTurm wurde zwar nicht
gebaut, und man hat mit Recht an ihm ausgesetzt, daß sein Autor in Einzel¬
heiten noch immer zu sehr von frei-künstlerischen Gesichtspunkten aus¬
gegangen und der Zweck doch immerhin im Hintergrund gestanden sei.
Das mindert aber nicht die grundsätzliche Bedeutung dieser Schöpfung.
Denn sie steht am Anfang einer Bewegung, die heute die ersten öffentlichen
Erfolge erringt. Zu fast gleicher Zeit wie in Rußland wurden in Deutschland
ähnliche Versuche unternommen; vor allem am Bauhaus in Weimar, das
1919 von Walter Gropius gegründet wurde und das zu einem Sammelpunkt
aller bewußt zeitgemäß gestaltenden Arbeit werden sollte. Auch in Rußland
entstand damals (19T6) ein Bauhaus, das Institut „Wchutemas" (Abkürzung
Neoplastizismus — Neue Gestaltung
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