Aber ich deutete schon obenan, daß das Buch heute nicht mehr wie früher die
ausschließliche Form des Gedruckten ist. Ein großer und wesentlicherTeil
erscheint in Form von Zeitschriften und Zeitungen, als Reklame usw. Hier
mußten die vorhin charakterisierten Künstler Infolge Ihrer einseitigen Ein¬
stellung vollkommen versagen. Einige haben zwar, aber ohne Erfolg, auch
dorthin „verbessernd" zu wirken versucht: so soll es noch heute Künstler
dieser Generation geben, die ernsthaft der Wiedereinführung des Holzschnitts
in der Zeltung das Wort redenl (Daß dies ein geradezu atavistischer Irrtum
¡st, brauche ich wohl hier nicht erst darzulegen. Die .Buchkünstler derVor-
kriegszelt vertraten und vertreten aie Theorie, die „tonige" Netzätzung [nach
Photographien] passe nicht zum klaren „Schwarz-Weiß" der Schrift. Der
Holzschnitt oder allenfalls die Strichätzung müsse an die Stelle der Netz¬
ätzung treten. Die praktische Durchführung mußte scheitern, weil der Holz¬
schnitt oder die Strichätzung bei weitem nicht die heute notwendigen exakten
Ausdrucksmöglichkeiten hat und dazu, weil das mittelalterliche Herstellungs¬
tempo des Holzschnitts mit dem der Autotypie natürlich nicht in Wettbewerb
treten kann.)
Von geringfüg igen Ausnahmen (die sien übrigens auf NterarischeZeitschriften
beschränken) abgesehen, haben die Buchkünstler also auf dem wichtigen
Gebiete derZeitschriften und Zeitungen ihre Anschauungen nicht zu verwirk¬
lichen vermocht. Das große Gebiet der Reklame schaltete für sie von vorn¬
herein aus.
Ein Buch für sich wäre notwendig, alle die verschiedenen Künstlerpersön¬
lichkeiten und Anschauungen zu schildern, die das Bild der Reklame der
Vorkriegs- und Nachkriegszeit zusammensetzen. Ihr gemeinsamer Fehler
Ist, daß sie in ihren Werken stets die eigene Persönlichkeit, ihre „Hand¬
schrift", als Wirkungsfaktor vorschicken. Eine überpersönliche, sachliche
Denkweise ist Ihnen fremd. Ausnahmen (etwa BernhardsSachplakate) bestä¬
tigen nur die Regel.
Auch diese Künstler (z. B. Lucian Bernhard) sind nicht ohne Einfluß auf
die Buchform geblieben. Einige von ihnen haben ebenfalls neue Typen ent¬
worfen, die, von neueren amerikanischen Schriften ausgehend, den zu¬
fälligen Pinselstrich zu imitieren versuchen (Bernhard-, Lo-, Glaß- und ähn¬
liche Schriften).
Diese vielfältigen, so verschiedengearteten Einflüsse ergeben in ihrer Ge¬
samtheit das Bild der heutigen Typographie. Die Schriftenproduktion, die
Erfindung neuer „Typen", ist ins Sinnlose angewachsen, völlig planlos
werden immer neue, immer schlechtere Varianten historischer oder indi-
vidualistischerSchriften entworfen, geschnitten und gegossen. Den zwei typo¬
graphischen Hauptrichtungen der Vorkriegszelt, der „buchmäßigen und
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der „plakaf'mäßigen hat sich nach dem Kriege noch die „kunstgewerbliche"
Richtung gesellt, die mit allerhand netten Förmchen die Drucksachen spiele¬
risch bedeckt und glaubt, mit diesem „reizvollen" Aussehen zu wirken. Be¬
trachtet man diese drei Haupttendenzen genauer, so zeigen sich eine Un¬
menge kleiner und kleinster Richtungen, die jede es auf einem andern
Wege — falsch machen.
Es 1st heute notwendig zu erkennen, daß es einer einzelnen Persönlichkeit
und ihrer privaten Ausdrucksform nie gelingen wird, zur „Form" unserer
Zeit zu werden. Das ¡st vor allem deshalb unmöglich, well einem solchen
Streben einfalscher, weil nuräußerlich gefaßter Begriff vom Wesen derForm
zugrunde liegt. Die Durchdringung einer Kultur mit den Privatformen einiger
„Prominenter", also eine künstlerische Diktatur einzelner 1st unmöglich.
Wir können nur dann zu einer wirklichen allgemeinen Kultur kommen (eine
Kultur nur weniger, wie bisher, ¡st keine Kultur, sondern eine Abart der
Barbarei), wenn wir uns auf das natürliche Gesetz der allgemeinen Bindun¬
gen, des unlösbaren Zusammenhangs sowohl der Menschen und Völker
untereinander, als auch aller Schaffensgebiete des Menschen besinnen.
NurVerfallszelten können die „Persönlichkeit" (gegen die namenlose Masse)
als Ziel der menschlichen Entwicklung hinstellen.
Der Buchdrucker mußte sich gerade in der letzten Zeit, die als Schlu߬
phase des kulturellen Zusammenbruchs die Anzeichen der Dekadenz be¬
sonders deutlich aufzeigt, in seiner Arbeit dem Privatstil irgendeines Buch¬
gewerbekünstlers unterordnen, wenn er dessen Typen sinngemäß verwenden
wollte. Zu einer befreiten Tätigkeit konnte er infolge dieses geistigen Zwanges
nicht kommen. Ihm, der von den übertrieben persönlichen Typenformen
ausgehend, sich bis auf die Gesamtform erstreckt, stellen wir heute die nur
sinngemäße, u n„pe rsön I Ich e" Arbeit mit unpersönlichen Aufbauformen
gegenüber, die allein eine freie, überpersönliche Arbelt, eine sinngemäße
Auswirkung der wirklich persönlichen Fähigkeiten und eine einheitliche
Lebensform (einen „Stil") ermöglicht. Persönliche Eigenheiten und „des
Künstlers Strich" sind unserem Streben entgegengesetzt. Nur die Anonymi¬
tät der Aufbauformen und der Gebrauch überpersönlicher Gesetze i-n-Ver¬
bindung mit der Aufgabe der persönlichen Eitelkeit (die bisher fälschlich
„Persönlichkeit" genannt wurde) zugunsten einer reinen Gestaltung verbürgt
die Entstehung einer allgemeinen, kollektiven, alle Lebensäußerungen
durchdringenden Kultur — auch auf dem Gebiete der Typographie.
Heute noch stehen sich Verfallssymptome und Aufbaustreben gegenüber —
indenReihender verstaubten Anhänger der alten und der jungen Verfechter
der neuen Typographie. Der Lebendige kann sich, will er sich nicht auf die
Seite des Alten, Zerfallenden stellen, nur für das Neue entscheiden I
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