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daß man heute elneZeitung, deren Umfang meist dem eines mittleren Buches
entspricht, in wenigen Minuten „lesen", das heißt ihr das für einen selbst Wich¬
tige entnehmen kann. Das ist zweifelsohne Gegenwart.
Vergangenheit aber ist der allgemeine Zustand der Zeitungen hinsichtlich
der verwandten Schriften. Wir finden, wenn wir von verschwindenden Aus¬
nahmen absehen, als Brotsch rift des politischenTeils, des Feuilletons und
der Inserate durchweg Fraktur. Man braucht nur einmal den Handelsteil
einerZeitung(dergewöhnlich in Antiqua gesetzt ist),zum Beispiel des „Berline.
Tageblattes", neben den politischen Teil der gleichen Zeitung zu legen und
beide zu vergleichen, um sofort zu erkennen, wieviel angenehmer und schöner
der Antiquasatz aussieht und sich liest. Die angeblich schlechtere Lesbarkeit
der Antiqua im Deutschen gegenüber der Fraktur ist ein nationalistisches
Ammenmärchen. Es wäre die Aufgabe der fortschrittlichen Blätter, hier den
ersten Schritt zu tun und die ganze Zeitung in Antiqua zu setzen. Wie aus¬
gezeichnet sehen zum Beispiel die holländischen Zeitungen aus! Sie ver¬
wenden Grotesk für die Überschriften und im übrigen Gewöhnliche Antiqua.
Zwarwird der Handelsteil wohl aller deutschen Zeitungen aus Antiqua gesetzt,
und auch in anderen, vornehmlich den moderneren Teilen der Zeitungen,
den technischen, Sport-, Film- und Literaturbeilagen, wird die Fraktur mehr
und mehr von der lateinischen Schrift verdrängt — sehr zum Vorteil ihrer
äußeren Erscheinung! Man möchte hoffen, daß nun auch bald die übrigen
Teile aus Antiqua gesetzt werden. Die Grotesk als Brotschrift wird wohl
noch auf sich warten lassen. Vorläufig haben wir noch keine wirklich geeignete
entsprechende Schriftform. Aber als Auszeichnungsschrift ist die Grotesk
hervorragend geeignet. Manche Beilagen der „Frankfurter Zeitung" haben
sich ihrer mit sehr gutem Erfolg bedient. Zu warnen ist freilich vor ganzen
Versalienzeilen, die viel zu schwer zu lesen sind. Ich finde für diesen Zweck
übrigens die fette Grotesk besser geeignet als die halbfette; die letztere hebt
sich in der Zeitung zu wenig von dem Grau des Textes ab.
In den Frakturteilen der Zeitungen verwendet man meist die Bernhard: oder
ähnliche Frakturen als Auszeichnungsschrift. Hiergegen soll keiner als der
grundsätzliche Einwand erhoben werden. Ganz und gar unverständlich ist es
aber, wenn die „Frankfurter Zeitung" hierzu die vorsintflutliche, tatsächlich
kaum mehr lesbare Gotisch, die ihrem Kopf nachgebildet ist, verwendet.
Es kostet wirklich Mühe, diese Hieroglyphen zu entziffern! Das nimmt wunder
bei einem Blatt, das sich sonst sehr, oft mit Erfolg, um eine zeitgemäße Ge¬
staltung seines typographischen Äußeren bemüht.
Ich halte es für nicht richtig, daß man der g esetzten Zeitung zuweilen
gezeichneteTitel einfügt. Unsere Typographie ist variabel genug, um allen
Sonderanforderungen zu genügen. Das gilt auch für den Zeitungskopf. Seine
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Form sollte man, besonders bei alten Zeitungen, nicht ändern, auch wenn
man zur Antiqua übergeht; denn er stellt die „Marke", das „Signet" des
Blattes dar. Natürlich kann alles, was nicht eigentlicherTitel 1st, in Antiqua
oder Grotesk dazugesetzt werden, aber die Schlagzeile, zum Beispiel „Berliner
Tageblatt", sollte ihre ursprüngliche Form unbedingt beibehalten. Hieraus
soll nicht hervorgehen, daß neue Zeitungen etwa auch Frakturköpfe an¬
nehmen müßten — hier ist Grotesk allein am Platze. Sie würde im Zeitungs¬
stand unter den unzähligen Frakturköpfen wie eine Bombe wirken!
Es wäre an derZeit, die noch aus dem neunzehnten Jahrhundert stammende
Mittelachsengruppierung der Überschriften (vorher gab es so gut wie keine
Titel) aufzugeben und die unsererZeit entsprechende linksseitige Anordnung,
wie etwa In diesem Buche, einzuführen. Der neben vielen Titeln freibleibende
weiße Raum würde angenehm wirken und durch den sozusagen automatischen
Hinweis auf den danebenstehenden Titel den Text besser organisieren.
Heute entsteht durch die axiale Anordnung der Titel ein unruhiges Grau ;
denn die schwarzen Überschriften vermischen sich mit dem sie umgebenden
Weiß, statt seine Wirkung durch reinliche Abtrennung zu steigern.
„DasTechnische Blatt", eine Beilage der„FrankfurterZeltung", ist so gestaltet
und dadurch zu einer sehr schönen Zeitung geworden.
DiesenkrechtenTrennungslinien zwischen den Spalten sollten verschwinden.
Sie sind ebenso überflüssig wie häßlich. Ohne sie wirkt eine Zeitungsseite
wesentlich leichter als sonst. An Stelle der noch weitverbreiteten fettfeinen
Linien unter dem Kopf und über Feuilleton und Inseraten sollten einfache
fette Linien (Vierpunkt oder Sechspunkt etwa) treten. Die Fettfeinen wirken
plastisch und sind ein überflüssiges, unschönes Ornament.
Netzätzungen in Zeitungen sehen ohne das offenbar noch immer unver¬
meidliche „Rändchen" entschieden vorteilhafter aus. Auch Bilder in Tief¬
druckzeitungen schneidet man besser glatt ab. Alle Randlinien, ganz und gar
aber Rahmen, sind zu verwerfen.
Bezüglich der Gestaltung der Anzeigenseiten sei auf den Abschnitt „Das
Inserat" verwiesen. Ein großer Fortschritt wäre es, wenn die Zeitungsformate
und Spaltenbreiten genormt würden ; dadurch würden mancherlei Mißstände,
die sich aus dem heutigen Formatchaos ergeben, beseitigt.
Wie schön eine Zeitung sein kann, beweisen die zwei Seiten aus der japani¬
schen Zeitung „Osaka Asahi", die wir in dem Abschnitt über die Gestaltung des
Inserats abbildeten. Unsere Zeitungen werden naturgemäß ein anderes Aus¬
sehen haben, aber in der ästhetischen Wirkung die japanischen Zeitungen un¬
bedingt erreichen. Auf jeden Fall wird die Schön heitderZeitung der Gegenwart
hervorgehenausdemStreben nach höchsterKlarheitund einerzielbewußten,
weitsichtigen Einstellung auf die Bedürfnisse unsererZeit.
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