1922, Arabisch-Türkisch, type specimen
from D. Stempel, Frankfurt, Leipzig,
Vienna, Budapest
an ihr ist eine beinahe dreidimensionale, reliefartige Wirkung, wie sie sich
beim Offsetdruck nicht erzielen lässt. Hieran wird in meinen Augen ersicht¬
lich, dass das Verschwinden des Bleisatzes ein schwerer, unwiederbringlicher
Verlust für die Druckkunst war.
Selbstverständlich sollen die etwas weniger bekannten niederländischen
Drucker hier nicht unerwähnt bleiben: De Vergulde Maatlat, Eric van der
Wal, Ter Lugt Pers, De Vier Seizoenen, Willem Muilenburg, Triona Pers,
Exponent, Elze ter Harkel, Tuinwijkpers (Rosart), Castanha Pers (Gara¬
mond) und Drukschuur Blaricum. Ein höchst originelles Exemplar ist De
Dwarsbomen (Gert van Oortmerssen). Der Buchblock besteht aus festem
Material, und der separate, ein Kilo schwere Rücken wurde aus recycelten
Blei lettern gegossen. Der Surrealist Johannes Hendrikus Moesman hat
ebenfalls eine Schrift entworfen, die Petronius, die erstmals 1975 als Schrift¬
muster zu sehen war. Ich weiß nicht, ob die Schrift danach überhaupt je in
Gebrauch war.
Die Curwen Press, die namhafte Druckerei des Magazins The Fleuron,
betraute im Jahr 1928 Oliver Simon mit der Zusammenstellung und dem
Entwurf eines Schriftmusters. Seinen hohen Preis hat dieses Muster weni¬
ger aufgrund der geringen Auflage (135 Exemplare), sondern weil es eine so
außergewöhnlich schön gefertigte Arbeit ist, in nüchtern-klassischer Gestal¬
tung auf handgeschöpftem Papier mit eigenem Wasserzeichen. Ornamente
und sonstigen Dekor ließ Curwen speziell von Künstlern wie Claud Lovat
Fraser, Paul Nash oder Percy Smith anfertigen. Die Schriftentwürfe stamm¬
ten von Künstlern wie Rudolf Koch oder Jan van Krimpen.
Theodore Low De Vinne (1828-1914) war ein bekannter New Yorker
Drucker, Autor von mehreren Büchern zum Thema Druckkunst und Mit¬
begründer und Präsident der ersten Vereinigung amerikanischer Meister¬
drucker. Von ihm möchte ich zwei Muster vorstellen, die ich besitze. Im
Jahr 1878, noch während seiner Zusammenarbeit mit dem Drucker
Francis Hart, brachte Low De Vinne ein 96-seitiges Muster mit dem Titel
Specimens of Pointed Texts and Black Letters heraus. „Black letters" entspre¬
chen dem, was wir unter gebrochenen Schriften verstehen, „pointed let¬
ters" sind in etwa dasselbe - verwendet wurden sie für Bibeln, aber auch
für Rundschreiben und dergleichen. Dieses Muster enthält rund 50 Schrift¬
arten. Das andere, 1891 von der De Vinne Press gedruckte, umfasst 144
Seiten mit Blichschriften und wäre für sich genommen ein langweiliges
Buch, wäre da nicht der Umstand, dass jede Seite unterschiedliche Initia¬
len vorführt, für die weder Kosten noch Mühen gescheut wurden: Die
meisten der in Größe und Form variierenden Initialen sind zweifarbig und
golden.
In eine ähnliche Richtung geht ein kleinformatiges Muster von 1903, das
ausschließlich Buchschriften präsentiert. Herausgebracht hat es der Kopen¬
hagener Drucker Martius Truelsen in einer Auflage von 1500 maschinen-
nummerierten Exemplaren. Bei meinen häufigen Aufenthalten in Kopen¬
hagen habe ich stets das Antiquariat Busck besucht, wo ich 1979 ein erstes
und ein paar Jahre später noch ein zweites Exemplar des betreffenden Mus¬
ters erstanden habe. Das Buch hat 176 Seiten, ist komplett in Leder gebun¬
den und mit Blindprägungen versehen. Die Lagen sind nicht genäht, son¬
dern geheftet - und eine Heftung kann natürlich rosten. Aber das Innere
ist sehr schön. Alle Doppelseiten sind unterschiedlich gestaltet, jeweils mit
einer verzierten Kopfleiste auf der linken Seite und einer Initiale am Text¬
beginn, die eine gemeinsame Einheit bilden, das Ganze oft reinster Jugend¬
stil. Man trifft auf wundervolle (anonyme) Entwürfe in drei oder vier Far¬
ben, wobei sämtliche Seiten sich in ihrer Farbgestaltung unterscheiden.
Insgesamt wurden um die 300 Farben verwendet.
In meinem Exemplar des Bokt>yckeri-Ka\enders von 1902/03 (inklusive
Signatur des Druckers und Verlegers Waldemar Zachrisson und der Wid¬
mung „Hommage à Mr. Theo L. De Vinne") findet sich auch eine Fotogra¬
fie von Martius Truelsen abgedruckt. Truelsen erzählt, wie er im Alter von
15 Jahren zum Waisen wurde und sich von da an alleine durchs Leben
schlagen musste. Als er 30 war, machte er sich mit ein paar Hundert gespar¬
ten Kronen selbstständig; 1903 dann leitete er, inzwischen 50 Jahre alt, eine
Druckerei mit rund 50 Angestellten. Neben meinen beiden Exemplaren des
Truelsen-Musters habe ich noch ganze Kisten voller fantastischer Duplikate.
Noch ein paar weitere schöne Stücke aus meiner Sammlung möchte ich
erwähnen. Im Zusammenhang mit der in Ausgabe Nummer 5 der Zeit¬
schrift Signature (New Series) behandelten Schriftmuster heißt es über
eines der Shenval Press von 1939: „Druck in vorzüglich-schwarzer Tinte, wie
man es heutzutage nur noch höchst selten antrifft." Dem kann ich voll und
ganz zustimmen - „black can be beautiful".
Ein 200-seitiges Muster von 1934 aus der Imprimerie Darantière in
Dijon, gedruckt in einer Auflage von 800 Exemplaren, ist als zusammen¬
hängender Roman angelegt, in dessen Verlauf die verschiedensten Schrift¬
arten - in großen wie kleinen Schriftgraden - vorgestellt werden. Die Sei¬
tengestaltung zeichnet sich durch breite Ränder und einen in Rot und
Schwarz gedruckten Text aus. Es ist bedauerlich, dass man heute nicht
60
Jan Tholenaar
\\w
ЯР>- Шю
uvr
U-lj-i-l *J*>\j (JLX^JI Jj-уаЗЭ LIjJU (»JaÎI L-Lr*?
(fji¡ л)І) o .jlaagjJ ! ë À* UíbU \s$> \J\\ <£j\SÚ L#j Jcä
.pL-JVIj ¿^j^\ U^A
Ú\j>-\ ОууЛМ JL^ <_Я^ * ИИ_/»_Зв_> lC>JJU
.o—al.fMfc...M I I I ..— ,..., Пае ^і .ral r? J .la. до SU j... JhaJl t«. M. n J.* ¿1
щнттятягтттттттттттятт
mehr mit derartigen Zusatzfarben arbeitet. Ein Muster der Buchdruckerei
August Hopfer wiederum verwendet ausschließlich Goethe-Zitate. Diese
beiden Muster sind eine nette Abwechselung zu dem stereotypen Schema
sich endlos wiederholender Texte.
Von der Boston Type Foundry besitze ich ein für amerikanische Verhält¬
nisse recht altes Muster von 1835. Die Hälfte der mehr als 200 einseitig
bedruckten Buchseiten versammelt ausschließlich Ornamente (Holzstiche),
darunter Abbildungen von Haushaltswaren und Zuchtvieh. Außerdem ent¬
hält es Faltblätter mit Dampfschiffen, Raddampfern, Segelschiffen und
Pferdekutschen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts vereinbarten elf führende amerikani¬
sche Schriftgießereien eine engere Zusammenarbeit, aus der schließlich die
American Type Founders hervorgingen. Ihr erstes Muster, ein schwerer Wäl¬
zer von mehr als 800 Seiten, erschien 1896.
Wie man anhand der Hauptprobe erkennen kann, wurde gegen Ende
des 19. Jahrhunderts den Überschriften und Zwischentiteln besonders viel
Aufmerksamkeit geschenkt, sie wurden in verschiedenen Tönen vor farbi¬
gen Hintergründen und mit üppigem Einsatz von häufig sehr reizvollen
Ornamenten präsentiert. Dieser Aufwand dürfte zurückzuführen sein auf
das Bemühen, sich gegen die Lithografie zu behaupten - was offenbar in¬
sofern gelang, als die betreffenden Muster in Antiquariatskatalogen biswei¬
len als Chromolithografien aufgeführt werden, obwohl die Erhebungen
auf der Rückseite eindeutig auf Hochdruck als Herstellungsverfahren
schließen lassen.
Anfang des 19. Jahrhunderts vollbrachte der französische Schriftschnei¬
der Henri Didot das nahezu Unmögliche und schnitt eine mikroskopisch
kleine 2,5-Punkt-Schrift, die kleinste jemals angefertigte Schrift. Die Stem¬
pel und Matrizen gelangten später in den Besitz der Firma Johannes
Enschedé & Zonen, die im Jahr 1861 die niederländische Verfassung druck¬
te, ein Büchlein im Format 4,5 x 6,5 Zentimeter. Eines der letzten Exem¬
plare davon habe ich am Bahnhof von Haarlem erstanden. Verschiedene
Firmen, unter ihnen Enschedé, verramschten ihre Restauflagen anlässlich
einer Messe für antiquarische Bücher. Henri Didot erfand des Weiteren
eine als Polymatype bezeichnete Gussform, mit der man bis zu 120 kleine
Lettern gleichzeitig gießen konnte. Sein Cousin, Pierre Didot, der eine Dru¬
ckerpresse geerbt hatte, betätigte sich ebenfalls als Schriftschneider. 1819
brachte er sein erstes Muster, Spécimen des nouveaux caractères de la fonde¬
rie..., heraus, mit Gedichten aus seiner eigenen Feder als Textbeispielen.
Häufig finden sich in Schriftmustern des 19. Jahrhunderts aus Ländern
wie Deutschland, den Niederlanden und den USA die gleichen Ornamen¬
te, Holzstiche etc. Man könnte fragen, ob dem womöglich ein systemati¬
sches Vorgehen inklusive Verträgen und Lizenzvergaben zugrunde liegt.
Bereits seit geraumer Zeit war die Stereotypie ein gängiges Verfahren; ab
etwa 1840 konnte man Vorlagen ohne Schwierigkeiten mithilfe der Galva¬
noplastik kopieren. Ein Urheberrecht existierte zu dieser Zeit noch nicht.
(Wohlgemerkt werden in unseren Tagen, wie ich irgendwo gelesen habe,
80 Prozent der benutzten Software illegal verwendet...)
Muster mit Erstpräsentationen neuer Schriften sind für Sammler
besonders wertvoll. Ich besitze beispielsweise eines der Centaur inklusive
einer Einleitung ihres Schöpfers, Bruce Rogers, eines von van Krimpens
Lutetia und eines der Cartier (1966), der ersten in Kanada entstandenen
Schreibschrift, entworfen von Carl Dair. Leider trifft man auch auf Schrift¬
muster mit schlechter Papierqualität. Manchen Papiersorten aus der zwei¬
ten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist der Zahn der Zeit deutlich anzumerken -
sie zerbröseln einem zwischen den Fingern. Mitunter wurden die Lagen
eines Buches nicht auf einen Leinenstreifen aufgenäht, sondern aufgehef¬
tet. Dieses Verfahren war zwar billiger, aber, da Heftungen rosten, mitnich¬
ten haltbarer. Kiloschwere Schriftmuster, selbst sehr hochpreisige, erhielten
manchmal einen Papiereinband. Das Muster der Imprimerie Nationale zum
Beispiel wurde in ein feines dünnes Glacepapier eingeschlagen - womit
Unannehmlichkeiten vorprogrammiert sind.
Aber auch Vandalismus kann der Grund für Beschädigungen sein.
Manchmal wurden einfach Teile aus den Mustern herausgeschnitten, unge¬
achtet der im Eingangsteil geäußerten Bitte, davon abzusehen! Ein guter
Buchhändler überprüft ein Stück auf solcherlei Beschädigungen und
erwähnt sie in seinem Katalog. Jammes verwendet für derartige Löcher den
netten kusàmckfenêtres (Fenster).
Von den Gebroeders Hoitsema in Groningen besitze ich ein umfangrei¬
ches Schriftmuster, das auf der Titelseite auf das Jahr 1897 datiert ist. Unge¬
wöhnlich an diesem Stück ist, dass für jede Schrift das Jahr des Erwerbs,
der Einlieferer und das Letterngewicht vermerkt sind. Die große Mehrheit
der aufgeführten Schriften stammt aus deutschen Gießereien, was in Anbe¬
tracht der geografischen Nähe vielleicht nicht allzu erstaunlich ist. Es wäre
aber interessant herauszufinden, ob diese Gießereien ihre Geschäftsvertre¬
ter direkt zu den holländischen Druckern geschickt haben. In einigen Fäl¬
len ist der Name des Vertreters angegeben: Klinkhardt (Van Meurs), Huck
Über das Sammeln von Schriftmustern-