Vor allem englische Drucker steuerten dazu ihre gelungensten Arbeiten
bei, die so der Nachwelt erhalten geblieben sind. Kennzeichnend für die
Bücher war ihre aufwendige Satzgestaltung (Kunstdruck), die Verwendung
vieler Farben und die Unmenge an Schriften, schöner wie hässlicher. Spe¬
ziell Drucke aus viktorianischer Zeit reizen mich; manchmal sind sie wirk¬
lich hübsch, manchmal sind sie bloß schön ob ihrer Hässlichkeit. Der Jahr¬
buchidee nahm man sich jedenfalls auch in Deutschland an, und ich darf
mich glücklich schätzen, einige Exemplare sowohl aus der englischen als
auch aus der deutschen Reihe zu besitzen. Ein ähnliches Produkt holländi¬
scher Provenienz ist das Uitwisseling van kunstdrukwerk in Nederland, von
dem ich den ersten - und zugleich letzten? - Band aus dem Jahr 1893 habe,
der nur etwas mehr als 20 Seiten umfasst.
Aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit (Buchkoproduktionen) musste
ich früher für gewöhnlich viel reisen. Als ich 1963 anlässlich der ersten
internationalen Kinderbuchmesse in Bologna war, entdeckte ich in einem
Antiquitätengeschäft einen großformatigen Schriftmusterbogen, doppelt
gefaltet, von einem Bologneser Drucker. Der Preis, den ich dafür bezahlt
habe, mag heute 20 Euro entsprechen - was damals viel Geld für mich war.
Das Muster hatte jahrelang in einer Schublade gelegen, bis das Sammeln zu
einer großen Mode wurde. Ich schickte eine Fotokopie an die Universität
Bologna mit der Bitte um Informationen. Wie sich herausstellte, stammte es
von der Druckerfamilie Benacci,die in Bologna im 16. und frühen ^.Jahr¬
hundert aktiv gewesen war. Die Universität teilte mir mit, dass sie zwar viele
Musterblätter dieser Dynastie besäße, aber nicht dieses eine. Ich schmeichle
mir heute mit dem Gedanken, dass es sich um ein einzigartiges Exemplar
und eines der ältesten Schriftmuster überhaupt handelt. Das Antiquariat
Herzberger bot mir einen guten Preis für das Stück, aber ich bin froh, dass
ich der Versuchung widerstanden habe. Vor ein paar Jahren hatte ich die
Gelegenheit, eine extrem seltene Duodezausgabe mit Madrigalen zu erste¬
hen, gedruckt und veröffentlicht zwischen 1588 und 1590 von Alessandro
und Vittorio Benacci. Das Werk ist auf skurrile Weise vollgepfropft mit
ihren Vignetten. So etwas macht ein Muster erst richtig lebendig.
Im Prinzip sammle ich so ziemlich alles an Schriftmustern, egal aus wel¬
chem Land und welcher Zeit. Die einzige Einschränkung besteht darin,
dass sie aus der Ära des Bleisatzes stammen müssen. Produziert wurden die
Muster von verschiedener Seite: von Schriftgießereien und Druckern sowie
von Buchbindern, wobei letztere Gruppe recht klein ist. Die Muster führen
Schriften vor, deren Drucklettern aus Blei gegossen oder aus Materialien
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wie Holz, Messing oder Eisen (für den Hochdruck) gefertigt sind. Ich habe
zwar auch ein paar Fotosatzschriftmuster, aber dafür gebe ich nur wenig
oder gar nichts aus. In den meisten Fällen sind sie langweilig, wenn nicht
sogar hässlich. Aber es gibt natürlich auch Ausnahmen. Ein hübsches Bei¬
spiel ist das dreiteilige, von Jost Hochuli entworfene und zweifarbig
gedruckte Compugraphic-Muster, das sich durch seine verspielt-humorvolle
Verwendung der Schrift auf der rechten Seite auszeichnet.
Schriftmuster gibt es in den verschiedensten Formen und Formaten.
Solche, die eine komplette Schriftfamilie vorstellen, haben oft einen festen
Einband. Ein extrem umfangreiches Muster ¡st die 1925 von Stempel her¬
ausgebrachte Hauptprobe. Mit ihren rund 1200 Seiten ist sie mehr als zehn
Zentimeter dick, wiegt sieben Kilo und ist in Halbpergament gebunden.
Ebenso gibt es dünnere Ausgaben, die jeweils die besonderen Eigenschaf¬
ten einer einzelnen Schriftart anpreisen. Häufig sind sie mit Klammern
geheftet, manche haben aber auch eine Fadenheftung und einen flexiblen
Einband. Vorjahren habe ich zwei Kisten mit solchen Mustern von dem
Buchhändler Horodisch erworben, der sie offensichtlich kurz zuvor bei
einer Auktion erstanden hatte. Die Broschüren führen verschiedene Ver¬
wendungsarten der jeweiligen Schrift vor und sind oft überaus stilvoll
gestaltet, manchmal von den Schriftentwerfern selbst. Auch wurde mit
Farbe nicht gespart.
Natürlich trifft man Schriftmuster nicht nur als eigenständige Drucke
an, sondern auch als Bestandteil von Unternehmenspublikationen wie den
Typografische Mededeelingen der Lettergieterij Amsterdam johannes Ensche¬
dé en Zonens Letterproef Nebiolos Archivio tipografico, Schelter & Gieseckes
Typographischen Mitteilungen oder La crònica von Richard Gans in Madrid.
Dazu kommen so weltberühmte Publikationen wie Monotype Recorder und
Linotype Bulletin. Außerdem finden sich Schriftmuster in Form von Anzei¬
gen in Branchenzeitschriften wie Graphicus, The British Printer, Typographi¬
sche Jahrbücher, Deutscher Buch- und Steindrucker und den Schweizer Les
archives de l'imprimerie. In Frankreich existierte in den ersten Jahren des
20. Jahrhunderts eine Gemeinschaftspublikation der französischen Schrift¬
gießereien, die den Titel La fonderie typographique trug. Präsentiert wurden
prächtige Beispiele sämtlicher neuer Schriften sowie Ornamente und der¬
gleichen, oftmals reinster Art Nouveau. In Deutschland erschien Mitte des
19. Jahrhunderts Аль Journal für Buchdruckerkunst, Schriftgießerei und die ver¬
wandten Fächer, und im späteren 19. Jahrhundert das Archiv für Buchdrucker¬
kunst und verwandte Geschäftszweige. Darin waren zahllose Einlagen einge-
--------------------------------------------------------------------------Jan Tholenaar
1922, Arabisch-Türkisch, type specimen
from D. Stempel, Frankfurt, Leipzig,
Vienna, Budapest
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Schriftgießerei D. Stempel, Ak.-Gef., Frankfurt am Main, Leipzig, Wien und Budapeff
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Über das Sammeln von Schriftmustern -
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