1796-1896, One Hundred Years,
MacKellar, Smiths and Jordan Foundry,
Philadelphia
Angelehnt an den Namen der Vorgängerschrift, Times Old Roman, wurde
die neue Schrift Times New Roman getauft. Ihren ersten Auftritt hatte sie
in der Ausgabe der Times vom 3. Oktober 1932. Dank ihrer Vermarktung
und der weltweiten Verbreitung ist sie heute eine Standardschrift.
Berthold, Günter Gerhard Lange: Akzidenz-Grotesk
Äußerst schlicht und ausgesprochen charakteristisch. Die AG, wie Lieb¬
haber die Schrift gerne nennen, existierte sie in der Hochzeit des Konstruk¬
tivismus bereits seit mehr als 20 Jahren. Höchst wirkungsvoll von De Stijl,
Bauhaus, Dada und anderen eingesetzt, war sie später eine der wichtigsten
Schriften bei der Entstehung der Schweizer Typografie. Wie ehedem steht
die AG für eine hohe visuelle Qualität und erinnert daran, dass Schrift
nicht gleichförmig aussehen muss, um gut leserlich und ansprechend zu
sein. Im Gegenteil: Gerade die Unterschiede zwischen den einzelnen Typen
gewährleisten ihre Leserlichkeit. Erstmals präsentiert wurde die Akzidenz-
Grotesk im Januar 1898 in Inseraten in der Zeitschrift Deutscher Buch- und
Steindrucker von gleich zwei Firmen, der Gießerei Berthold und dem Stutt¬
garter Unternehmen Bauer & Co.
1973 schrieb Günter Gerhard Lange, als künstlerischer Leiter der Firma
Berthold für das Redesign der Akzidenz-Grotesk verantwortlich, zur Ein¬
führung der neuen Version: „Hierbei haben wir auf die Grundproportio¬
nen der beliebten Akzidenz-Grotesk zurückgegriffen, um die durchschnitt¬
liche Länge und die individuellen Formen festzulegen. Natürlich mussten
die Familienähnlichkeiten zwischen den einzelnen Stilen berücksichtigt
werden, ebenso wie die Stimmung und Mode der Zeit." In Mode waren zur
damaligen Zeit Max Miedingers eben erschienene Helvetica und andere
neue Schriften wie Adrian Frutigers Univers und Konrad F. Bauers Folio.
Dennoch war und blieb die gute alte AG ein Hauptakteur in der sich
beständig wandelnden Welt des Drucks und Designs.
Paul Renner: Futura
Obwohl ein Kind ihrer Zeit, ist die Futura zugleich eine zeitlose, elemen¬
tare Schrift. 1925 gab Jan (Iwan) Tschichold ein Sonderheft der Typographi¬
schen Mitteilungen mit dem Titel „Elementare Typografie" heraus, in der
er erstmals seine Überlegungen zur Schaffung einer neuen Typografie for¬
mulierte. Von den bestehenden Schriftarten genügten am ehesten Grotesk¬
oder Blockschriften den Zielen der neuen Typografie, denn sie beruhten auf
einem einfachen Entwurf und seien leicht lesbar. Es gebe jedoch keinen
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Grund, warum nicht auch andere leicht zu lesende Schriftarten benutzt wer¬
den sollten; die „richtige" Schriftart würde jedenfalls noch nicht existieren.
Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy schrieb im Bauhausheft 7 von 1926
sinngemäß, dass die Grotesk eigentlich erst noch geschaffen werden müsse,
da es allen existierenden Groteskbuchschriften an Stil mangele. Ebenfalls
in dieser Ausgabe erschienen die Aufsätze „Versuch einer neuen Schrift"
von Herbert Bayer und „Zur Ökonomie der Schriftform" von Josef Albers.
Zur selben Zeit trat Paul Renner mit seinem Entwurf zu einem neuen,
auf konstruktivistischen Prinzipien aufbauenden Groteskstil in Erscheinung.
Seine 1924 entstandene Futura beruhte auf einfachen Grundformen - Kreis,
Dreieck und Quadrat. Die ersten Proben des neuen Stils erschienen im
Jahr 1925. Willy Haas schrieb dazu: „Mit der Futura legt Paul Renner eine
vorgängerlose, konstruktive Lösung vor, die sich gleichermaßen klassisch
wie modern verwenden lässt und die sich trotz ihrer strengen Gestalt kei¬
neswegs schulmeisterlich, sondern wohlgefällig ausnimmt." 1933 musste
Renner nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland
seine Lehrtätigkeit aufgeben und setzte sich am Genfer See zur Ruhe. 1947
veröffentliche er sein Werk Ordnung und Harmonie der Farben, sein Buch
Die Kunst der Typographie von 1939 wurde nachgedruckt.
Eric Gill: GUI Sans
Vom Bildhauer zum Schriftentwerfer. Arthur Eric Rowton Gill (1882-
1940) studierte zunächst Architektur. Nach seiner Heirat arbeitete er als
Grafiker und Illustrator und schloss sich einer Gruppe von Arts-and-
Crafts-Künstlern an. Später betätigte Gill sich auch als Bildhauer. Sein
erster Schriftentwurf, die Perpetua, erschien im Jahr 1925.1928 arbeitete er
in High Wycombe als Bildhauer und Steinmetz; zwischenzeitlich hatte er
sich mit seinem Schwiegersohn René Hague als Kompagnon mit einem
Handpressenbetrieb selbstständig gemacht. Daneben verfasste Gill mehrere
Bücher zum Thema Industriehandwerk und -design. Eine weitere von Gill
entworfene Schrift war die nach seiner Tochter benannte Joanna, die aus¬
schließlich in 12 Punkt und ursprünglich nur für seinen 1931 erschienenen
„Essay on Typography" gegossen worden war.
1916 wurde Gill - der damals an den Reliefs der Kreuzwegstationen in
der Kathedrale von Westminster arbeitete - um einen Entwurf für eine ein¬
fache geometrische Schrift gebeten, die auf sämtlichen Beschilderungen
und Linienplänen der London Underground zum Einsatz kommen sollte.
Bei seinem Entwurf behielt er die klassischen Proportionen bei, zu erken-
-------------------------------------------------------------------------Cees W. de Jong
Neue Technologien haben vieles vereinfacht. Doch nach wie
vor steht am Anfang des Entwicklungsprozesses immer eine Skizze,
der später, wenn sich das Konzept als tragfähig herausstellt, eine
genaue Ausarbeitung der Details folgt. Häufig erweist sich die Skizze
des Vortags am nächsten Morgen als doch nicht ganz so innovativ,
wie man es sich ursprünglich gedacht hatte.
nen etwa beim g, während er das R in seiner dafür bevorzugten Form mit
einem elegant gebogenen und weit abgespreizten Fuß gestaltete.
Zahlreiche weitere Überarbeitungen der Schrift stammen von Mono¬
typemitarbeitern. 1928 begann Gill als Berater für die Monotype Corpo¬
ration zu arbeiten. Als Ende der i92oer-Jahre die Gill Sans erschien, war
sie nicht gerade das, worauf die britische Druckbranche gewartet hatte.
Renners Entwurf wurde dahingehend kommentiert, dass es sich um eine
bald in Vergessenheit geratene Mode handele. Die erste Version der Gill
Sans war im Vorfeld des Jahreskongresses der Britischen Druckindustrie im
Mai 1928 fertiggestellt worden. Die Einladungen zu der Veranstaltung hatte
Stanley Morison, der dort eine Ansprache hielt, in der neuen Schrift setzen
lassen. Damit begann der Siegeszug der Gill Sans.
Max Miedinger: Helvetica
Schnörkellos und zeitlos. 1949 plante Eduard Hoffmann, der Leiter der
Haas'schen Schriftgießerei in Münchenstein bei Basel, die Entwicklung
einer neuen Groteskschrift. Sein Vorbild war die Schelter-Grotesk, die offi¬
zielle Bauhaus-Schrift. Damals griffen Schweizer Designer immer häufiger
auf Bertholds Akzidenz-Grotesk zurück, die schließlich als „Schweizer Typo¬
grafie" auf die Weltbühne zurückkehrte. Eduard Hoffmann betraute 1956
Max Miedinger in Zürich, der als Experte für Groteskschriften galt, mit dem
Entwurf. Nachdem die Skizzen gemeinsam mit Hoffmann besprochen und
korrigiert worden waren, dienten sie als Vorlage für die Stempelschneide¬
maschine der Haas'schen Schriftgießerei, um anschließend in Blei gegossen
zu werden. 1957 trug das Projekt zunächst den Arbeitstitel Neue Haas-
Grotesk, i960 brachte die D. Stempel AG die Schrift indes unter dem Namen
Helvetica auf den Markt. Das gesamte Design musste noch einmal über¬
arbeitet werden, als Linotype sich für die Übernahme der Schrift entschied,
die anfangs im Maschinensatz und später auch im Fotosatz genutzt wurde.
Als sich jedoch kurz darauf die Univers-Schriftfamilie Adrian Frutigers
als großer Erfolg erwies, sah Stempel sich gezwungen, nach dessen Methode
einen kompletten Zeichenbestand neu zu gestalten. Der Entwurf zur Hel¬
vetica Light stammt von Erich Schultz-Anker, dem künstlerischen Leiter
bei Stempel, und Arthur Ritzel. 1982 brachte Stempel die Neue Helvetica
auf den Markt.
Schriftgießereien standen untereinander in engem Kontakt und koordinier¬
ten ihre Geschäfte in Absprache zunächst regional und bald auch interna¬
tional. Abgestimmt auf jeweils herrschende Trends, wurden Schriften unter
verschiedenen Namen herausgebracht, verkauft, kopiert und adaptiert. Er¬
zielte die eine Firma einen Erfolg, wollte auch die andere ein Stück vom
Kuchen abbekommen. Und um all diese Schriften den Kunden zu verkau¬
fen, produzierten die Gießereien die prachtvollsten Schriftmuster.