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Akzidenz-Grotesk (1899) m¡t Paul Renners Futura (1925), trifft auf eine
ganze Fülle von Unterschieden. Die Druckseiten sehen völlig verschieden
aus, und auch als Leser nimmt man die Botschaft anders auf. Die Wahl der
Typografie und die Umsetzung durch den Grafikdesigner können den
Leser in ganz verschiedene Welten führen.
Hier eine Auswahl von Schriftentwerfern mit einem Blick fürs Detail:
Claude Garamond: Garamond
Die Französische Renaissance-Antiqua erblickt das Licht der Welt.
Claude Garamond wurde im Jahr 1480 geboren, und schon in jungen Jah¬
ren erlernte er sein Handwerk bei seinem Vater und anderen Mitgliedern
der Familie. Nach eigener Behauptung konnte Garamond bereits im Alter
von 15 Jahren Patrizen in einer Größe von einem Cicero (12 Punkt) schnei¬
den. In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts standen französische
Stempelschneider und Drucker in Konkurrenz zu den italienischen Schöp¬
fern der Renaissance-Antiqua, deren Entwürfe, die Antiqua-Schriften Aldus
Manutius' und Francesco Griffes wie auch die Schriften Pietro Bembos,
ihren Weg nach Frankreich gefunden hatten.
Claude Garamond ist einer der ersten und wegweisenden Schriftschnei¬
der und -gießer der Französischen Renaissance-Antiqua und -Kursive. In
seiner Zeit wurden die Römische Capitalis und die Karolingische Minuskel
zusammengeführt. Im zentralistischen Frankreich waren die Voraussetzun¬
gen für fortschriftliche Entwicklungen auf dem Gebiet der Typografie
günstiger als in Italien oder Deutschland. Mit dem Erscheinen seiner grie¬
chischem Schrift Grecs du Roy 1543, die König Franz I., ein Verfechter des
Buchdrucks, bei ihm in Auftrag gegeben hatte, erwarb sich Garamond
einen ausgezeichneten Ruf und den Posten des königlichen Schriftgießers.
Die erste Antiqua, die zuverlässig datiert und Garamond zugeschrieben
werden kann, ist eine großzügige Schrift namens Gros-Roman, die erstmals
in einer Ausgabe der Werke Eusebius' und weiteren im Jahr 1544 von
Robert Estienne gedruckten Werken auftaucht.
Wie anhand der Titelblätter zu erkennen, betätigte Garamond sich
nach 1545 auch als Verleger, sowohl unter eigener Ägide als auch in
Zusammenarbeit mit Pierre Gaultier und Jean Barbé. Als Beispiele für
heute verwendete moderne Garamond-Versionen sind Jan Tschicholds
Sabon und - hier wird es noch deutlicher - die Sabon Next von Jean
François Porchez zu nennen.
William Caslon: Caslon
Ein Mann von vielseitiger Begabung. William Caslon wurde 1692 in
Cradley in der Grafschaft Worcestershire geboren. Im Alter von 13 Jahren
trat er bei einem Londoner Graveur in die Lehre. 1717 wurde er Bürger der
Stadt London, in der er sich im vorangegangenen Jahr als Graveur selbst¬
ständig gemacht hatte. Zwei Jahre später eröffnete er eine Schriftgießerei.
Von dem Buchbinder John Watts erhielt Caslon den Auftrag, Schriften
für dessen Einbände zu entwerfen und zu gießen. Einer dieser Titel fiel
William Bowyer, einem bekannten Londoner Drucker, ins Auge. Caslon
freundete sich mit Bowyer an, der ihn mit anderen Londoner Druckern
bekannt machte. Damit begann die Geschichte einer der erfolgreichsten
Schriftgießereien Englands. Finanziell unterstützt wurde Caslon anfänglich
von Watts und Bowyer sowie dessen Schwiegersohn, James Bettenham.
1720 - in seinem ersten Geschäftsjahr als Schriftgießer - fertigte Caslon
für die Society for the Propagation of Christian Knowledge eine neue Schrift
für den Druck einer arabischen Bibelausgabe an. Nach Fertigstellung dieser
neuen arabischen Schrift druckte er ein Musterblatt, um sie anderen Dru¬
ckern zum Kauf anzubieten. Auf diesem Bogen war auch sein Name, Willi¬
am Caslon, abgedruckt, und zwar in speziell zu diesem Zweck entworfenen
Antiqua-Lettern. Dieser Neuentwurf war der Grundstein für den heute als
Caslon Old Style bekannten Schriftstil. Im Anschluss an diesen Stil schnitt
Caslon eine Reihe nichtlateinischer, exotischer Stile, darunter koptische,
armenische, etruskische und hebräische Schriften. Die Caslon Gothic ist
seine Version jener Schriftarten, die als Old English oder „black letters"
(Frakturschrift) bezeichnet werden.
Sämtliche dieser Schriften waren bereits auf dem Markt, als Caslon 1734
erstmals einen umfangreichen Katalog für seine eigene Schriftgießerei veröf¬
fentlichte, der insgesamt 38 Schriftarten vorstellte. 1737 zog Casions Gießerei
in die berühmte Chiswell Street um, wo seine Geschäfte nach seinem Tod
mehr als 120 Jahre lang fortgeführt wurden. 1749 ernannte König Georg II.
Caslon zum Schiedsmann für die Grafschaft Middlesex. Nach seinem Rück¬
zug aus dem Geschäft starb Caslon 1766 im Alter von 74 Jahren. Sein Name
steht für die Erfolgsgeschichte eines außergewöhnlichen Graveurs.
John Baskerville: Baskerville
Auf der Suche nach dem besten Ergebnis. John Baskerville (1706-1775)
begann um das Jahr 1754 mit dem Schneiden und Gießen eigener Schrif¬
ten. Von besonderem Einfluss waren für ihn die Beschriftungen von Stein-
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Cees W. de Jong
1796-1896, One Hundred Years,
MacKellar, Smiths and Jordan Foundry,
Philadelphia
On the cover of this publication is a
romantic image of the typesetter at
work. Other images show hand setters
in Philadelphia, working in a highly
concentrated manner.
Ein romantisiert dargestellter Schriftset¬
zer bei der Arbeit ziert den Umschlag die¬
ser Publikation. Auf den weiteren Bildern
sind Handsetzer in Philadelphia bei ihrer
hochkonzentrierten Tätigkeit zu sehen.
Sur la couverture de cette publication,
l'image romanesque d'un compositeur à
l'ouvrage. D'autres images montrent des
compositeurs manuels, à Philadelphie,
travaillant avec une belle concentration.
metzen, an denen sich auch andere englische Schöpfer von Schriften orien¬
tierten, welche man noch heute als typisch englisch ansieht: Grotesk- und
Egyptienne-Schriften, die an anderer Stelle im Zuge der industriellen Revo¬
lution auftauchten. Mit großer Aufmerksamkeit widmete Baskerville sich
der Frage, wie sich Schriften am besten drucken ließen und wie das Er¬
gebnis aussehen würde. Folglich maß er Papier, Tinte, Drucklettern und
-maschinen eine gleich große Bedeutung bei. 1750 gründete John Basker¬
ville ein Untenehmen, zu dem eine Papiermühle, eine Schriftgießerei und
eine Druckerei gehörte. Zu dieser Zeit entwickelte er auch die Idee, gestri¬
chenes Papier zu verwenden.
Nach langer anstrengender Arbeit präsentierte er im Jahr 1754 seinen
ersten Schriftentwurf. 1758 erschien seine Prunkedition von Miltons Para¬
dise Lost, ein Ein-Mann- und zugleich Gesamtkunstwerk, lange bevor dieser
Begriff geprägt wurde. Als Drucker arbeitete Baskerville auch für die Uni¬
versität Cambridge, zu deren Direktor er 1758 ernannt wurde. Eine seiner
berühmtesten Veröffentlichungen ist seinjuvenalis von 1757.
Baskervilles großzügige Letterngestalt, der luftige Textsatz mit erweiter¬
ten Abständen zwischen Wörtern und Zeilen, die Breite des Satzspiegels
und die Verwendung von gestrichenem Papier und tiefschwarzer Tinte
machten seinen Namen in ganz Europa bekannt. Nach seinem Tod wurde
ein Großteil von Baskervilles Typenmaterial, seine Geheimformel zur Tin¬
tenherstellung und die Anleitung zur Fertigung des gestrichenen Papiers
an den Franzosen Caron de Beaumarchais verkauft. Dieser druckte zwi¬
schen 1785 und 1789 mit Baskervilles Typen eine 70-bändige Voltaire-Aus¬
gabe. Mit dem Ergebnis wäre Baskerville sehr zufrieden gewesen.
Giambattista Bodoni: Bodoni
„Reichlicher Leerraum und großzügiger Durchschuss, und ja die Größe
der Schrift nicht zu bescheiden wählen. Dann darf man sich einer Schöp¬
fung sicher sein, die eines Königs würdig ist." - Giambattista Bodoni
Bodoni wurde der König der Drucker und der Drucker der Könige
genannt. Sein Ruf gründete sich auf seinem Manuale tipografico, einer
Gesamtschau seines Lebenswerkes, die einige Jahre nach seinem Tod von
seiner Witwe, Margherita Bodoni, veröffentlicht wurde. Das erste Exemplar
war Ihrer Königlichen Hoheit Marie-Louise, Prinzessin von Parma, gewid¬
met. Als Handbuch zur Buchdruckkunst präsentierte es auf 546 Drucksei¬
ten insgesamt 665 verschiedene Alphabete, einschließlich 100 exotischer
Schriften, und 1300 Vignetten. Ferner enthielt es 170 lateinische Schriften,
von denen einige mit bis zu 380 Matrizen hergestellt worden waren. Die
Auflage umfasste wohl weniger als 150 Exemplare, obwohl bisweilen auch
von 290 Exemplaren die Rede ist.
Seiner Witwe zufolge konzipierte, korrigierte und goss Bodoni im Laufe
von 50 Jahren mehr als 55000 Matrizen. Nichts ging ihm über das Entwer¬
fen und die harmonische Gestaltung von Seiten nach Art und Größe der
Schrift, Durchschuss, dem Zusammenspiel von Zeilenlängen, Abständen
und Spaltenbreiten. Dem Zusammenwirken von Schwarz und Weiß und
der großzügen Verwendung von Leerraum kam eine Hauptrolle zu. Die
Liste von Bodonis Nacheiferern ist lang. 1911 entwarf Morris Fuller Benton
eine Bodonischrift für ATF. Monotype folgte nach und ebenso, im Jahr
1924, die Haas'sche Schriftgießerei in der Schweiz, deren Bodonischrift
wiederum von der Lettergieterij Amsterdam, Berthold und Stempel kopiert
wurde. Linotype und Ludlow orientierten sich ebenfalls an Haas, während
Johannes Wagner im Jahr 1961 eine neue Bodoni herausbrachte. Weltweit
existieren mehr als 500 veschiedene Bodonivarianten. Eine sehr schöne
Version ist Zuzana Lickos Filosofia (1996).
Stanley Morison: Times New Roman
Wie sieht die geeignetste Schrift für eine Zeitung aus? Stanley Ignatius
Arthur Morison (1889-1967) wurde im Jahr 1923 typografischer Berater der
Monotype Corporation. Unter seiner Leitung entstand eine Anzahl von
Schriftfamilien, die sich an historischen Schriften orientierten, so etwa die
Entwürfe Eric Gills. Nachdem dem Geschäftsführer der Londoner Times,
William Lints-Smith, Morisons vernichtende Kritik an der überholten
Typografie der Zeitung zu Ohren gekommen war, setzte er sich mit dem
Kritiker an einen Tisch, und nach einer langen Diskussion riet Morison
dazu, die Times von Grund auf neu zu gestalten. Morison wurde typogra¬
fischer Berater der Zeitung und ließ mehrere Probeseiten in verschiedenen
Schriftarten anfertigen, darunter Baskerville, Imprint, Ionic und eine Ver¬
sion der Perpetua. Zur selben Zeit brachte Lynotype in den Vereinigten
Staaten eine Reihe von Schriften für den Mengensatz heraus. Die erste war
die Ionic, gefolgt im Jahr 1931 von der Excelsior, die heute noch immer zu
den populärsten Zeitungsschriften gehört.
Nach einer Reihe weiterer Tests entschied Morison, dass die Times eine
komplett neue Schrift bekommen sollte. 1931 präsentierte er zwei Entwürfe,
eine überarbeitete Version der Perpetua und eine modernisierte Plantin.
Das Entscheidungskommitee der Times wählte die Letztere der beiden.
Die ideale Schrift
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